Buch: „Der Storyteller: Geschichten aus dem Leben und der Musik“ von Dave Grohl

Mit dem epischen Schlagzeugeinstieg der Aufnahme „Smells like Teen Spirit“ der US-amerikanischen Band Nirvana hat sich Dave Grohl als junger Mann quasi über Nacht in die erste Kategorie aller Punkrockdrummer katapultiert, einen Welthit mitgestaltet und zusammen mit seinen Kollegen einen neuen Musikstil, nämlich Grunge, erfunden. Das reicht vermutlich für einen der vordersten Ränge in der fortlaufenden Geschichte der Rockmusik. Nach dem Ende von Nirvana (1994) startete er unter dem Namen Foo Fighters seine eigene Band mit wechselnder Besetzung. Neben etlichen Alben, Videos und weltweiten Tourneen betätigt sich Grohl auch als Filmemacher. Nun hat er seine Erlebnisse in einem raumgreifenden, biographischen Rückblick zusammengefasst.

Grohl ist kein zurückhaltender oder wohldosierter Autor. In seine chronologische Erzählung streut er regelmäßig ausufernde Anekdoten aus unterschiedlichen Lebensphasen, bei denen er unnötig tief ins Detail geht und die oft genug nur halb-interessanten, langatmige Geschichten bieten. Es geht um irgendwelche nebensächliche Backstageerlebnisse, skurrile Begegnungen, diffuse Gedankengänge oder um irgendwelche lauen Familiensituationen, die dringend gekürzt oder sogar komplett weggelassen hätten werden müssen. Das fällt umso mehr auf, weil sich Grohl zu einigen wirklich wesentlichen Bereichen komplett ausschweigt und erzeugt so ein gehöriges Missverhältnis. Während er z.B. seitenweise von seiner Teilnahme an irgendeinem Abschlussball einer Tochter schreibt, für die er irrsinnigerweise einen Stadionkonzerttermin verlegt, die Tour unterbricht und für einen kurzen Abend von Australien in die USA und wieder zurückfliegt, verliert er kaum ein Wort z.B. über seine Schwester, diverse Freundinnen, seine erste Frau, den späteren Lebensgefährtinnen oder seine zweite Ehefrau. Gut, das hat er wohl absichtlich ausgeklammert. Leider umfasst diese Zurückhaltung auch so wesentliche Personen wie Kurt Cobain, über den er nur Allgemeinplätze äußert, oder Krist Novoselic, dem Bassisten von Nirvana, dessen Name in einem Nebensatz vielleicht 1-2 fällt, sonst dazu rein gar nichts. Die letzte Phase Nirvanas (ca. 2 Jahre) wird komplett ausgelassen, die Produktion von „In Utero“ (1993) nicht einmal erwähnt, der Name Courtney Love fällt kein einziges Mal, von der Heroinsucht Cobains will er nichts gewusst haben und der Tod kam für ihn auch einigermaßen überraschend, während die halbe Welt zugesehen hatte, wie sich der Sänger in einem atemberaubenden Tempo zu Grunde gerichtet hatte.

Da wundert es auch nicht, dass es nicht lange dauerte bis Grohl nach Cobains Selbstmord wieder auf eigene Faust weitermachte, während Novoselic augenscheinlich wegrutschte. Diese resiliente Lebensphilosophie ist zwar einerseits bewundernswert, andererseits aber auch etwas weird und verstörend. Ab da bis zum Schluss beginnt im Buch ein wildes Namedropping von bekannten Musikerpersönlichkeiten, denen er zu verschiedenen feierlichen Anlässen begegnet und mit denen er bei offiziellen Feierlichkeiten und Preisverleihungen zusammenspielt. Überhaupt nicht erwähnt werden, die diversen Umbesetzungen bei den Foos, die Schreib- oder Produktionsphasen der verschiedenen Alben oder seine sehenswerten Filme „Sound City“ (2013) oder „Sonic Highways“ (2014). Da wären ein paar Worte von ihm natürlich schon interessant gewesen.

So wie es ist, hat man als Leser das Gefühl, dass Grohl, ausgestattet mit übergroßem Talent und Selbstbewusstsein, aber selbstverständlich ohne Üben oder Anstrengung, ohne Irrwege und Krisen ganz einfach und geradeaus einem vorgezeichneten Erfolgskurs folgt und, komme was da wolle, oben mit dabei ist. Bisschen Gitarre spielen und mal was im Studio aufnehmen okay, dazwischen mal Paul McCartney oder Lemmy treffen, abends ein Konzert in Japan, Europa, whatever und danach Backstageparty, aber was da passiert ist natürlich Privatsache.

Grohl ist als Autor ebenso wie auf der Konzertbühne eine unkontrollierte und unredigierte Laberbacke, ist entweder ADHS oder eine Auswirkung von zu viel Kiffen und Alkohol. Wenn er sich selbst ein kleines bisschen weniger geil finden würde und mehr auf inhaltliche Substanz achten würde, wäre das für Leser und Hörer deutlich kurzweiliger und erfreulicher. Aber das passiert wohl, wenn man mit 22 Jahren schlagartig Weltruhm erlangt und danach immer alles wie von selbst läuft. Selbstkritik und Bescheidenheit, etwas Demut, Dankbarkeit, vornehme Zurückhaltung und leise Zwischentöne sind da einfach nicht dein Ding.

Fazit: Viel Telling, wenig Story. Für Foo- und Grohl-Fans vermutlich trotzdem ein Muss. Für Nirvana-Fans und alle sonstigen Interessierten ist sicherlich der Wikipedia- Eintrag informativer.

Das gebundene Buch erscheint bei Ullstein, hat 464 Seiten und kostet 23 Euro.

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