Ich bin schon seit ziemlich langer Zeit nicht mehr so lang und so weit gelaufen wie am gestrigen Tag. Nach meinem Besuch bei der Public Library in der Elk Street, wo ich den ersten Eintrag fuer den Reiseblog vorgenommen hatte, habe ich mich nach Osten Richtung Louis Armstrong Park gewand. Ein paar Blocks weiter die Basin Street runter kam ich am St. Louis Cemetery No. 1 vorbei, Eintritt nur mit Certified Guide zum Preis von schlappen 18$, das war mir dann doch zuviel, ausserdem stoerte mich gewaltig, dass selbst mit dem Gedenken der Toten noch Kasse gemacht wird. Um die Ecke und nur einige hundert Meter weiter befindet sich der St. Louis Cemetery No. 2, liegt ein klein bisschen abseits der ausgetretenen Touristenpfade, kostet gar keinen Eintritt und man braucht auch keinen nervigen Guide. Es geht sogar soweit, dass man Teile des Friedhofs mit dem Auto durchfahren darf, ich bin natuerlich gelaufen. Wegen des hohen Grundwasserspiegels werden Verstorbene in New Orleans traditionell nicht beerdigt, sondern ueberirdisch bestattet, mit der Zeit wurden die dafuer errichteten Mausoleen immer aufwaendiger und praechtiger. Im St. Louis Cemetery befinden sich einige Familienmausoleen, die teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert stammen. Direkt neben dem Friedhof, ca. 12 m erhoeht fuehrt die Interstate 10 daran vorbei. „Bury me by the Highwayside, so my ol‘ evil spirit can catch a greyhound bus and ride.“ (Robert Johnson)
Danach ging’s weiter Richtung Osten, nur zwei Blocks weiter liegt der beruehmt-beruechtigte Congo Square an dem sich die Sklaven sonntags zum kulturellen Austausch treffen durften. Hier wurde gesungen, getrommelt und getanzt und es ist sowas wie die musikalische Geburtsstaette der afro-amerikanischen Musikkulturen. Heute ist es ein unscheinbarer Teil des neu-installierten Louis Armstrong Park am oberen Ende des French Quarter, die Geschichtstraechtigkeit sieht man dem Ort leider nicht mehr im Ansatz an. Ich habe mich trotzdem auf eine Bank gesetzt, bin meinen Gedanken nachgegangen und habe dann doch sicher eine Stunde an diesem besonderen Platz verbracht. Weiter Richtung Sueden, auf der anderen Strassenseite beginnt bzw. endet das Frenchquarter, das Vieux Carre, ein alter Stadtteil, der heute in erster Linie als touristisches Vergnuegungsviertel dient. Ich bin einfach die St. Ann Street runter flaniert vorbei an geschmueckten, alten Haeusern im franzoesischen Stil, je weiter ich kam desto mehr Hotels, Kneipen und Bars waren darunter.
Die Strasse endet am Jackson Square, dem zentralen, grossen Platz im French Quarter, schon von weitem hoert man die Klaenge der Brass Bands, die in erster Linie fuer die Touristen spielen. Es waren ausschliesslich junge Schwarze, die in in Hip Hop Klamotten in der prallen Sonne standen und traditionelle und moderne Tunes spielten. Die Ensembles bestanden aus zwei Mann an grosser Trommel / Hihat und kleiner Trommel, dann ein Sousaphon und jeweils drei Posaunen und Trompeten, Saxophone oder irgendwelche Akkordinstrumente waren nicht dabei. Ich muss schon sagen, alles was ich gehoert habe hatte ganz schoen viel Dampf und Energie. Auch wenn man davon ausgeht, dass das junge Kerle sind, die sich routiniert ein bisschen Geld auf der Strasse verdienen, war die Brass Band Tradition absolut erkennbar, das hatte nun wirklich gar nichts mit dem braesigen SPD-Senioren-Dixie-Gehupe zu tun, was man so aus deutschen Biergaerten kennt. Hier war immer das improvisierende Ensemble zu erkennen, besonders die Aufteilung von Bassdrum und kleiner Trommel auf zwei Personen macht die Rhythmik extrem variabel, teilweise fast schon polyrhythmisch. Die Saetze wurden selbstverstaendlich auswendig gespielt, waren ‚tight as a rats ass‘ und sehr gut intoniert, dabei bewahrten sie aber auch anarchisch ueberdrehte Elemente wie man sie in Europa allenfalls von Blaesergruppen vom Balkan her kennt.
Das Gewuehle in dem touristisch dominierten, westlichen Teil des Quarters ersparte ich mir und lief weiter Richtung Sueden zum Mississippi River, setzte mich auf eine Bank und genoss die frische Brise und den Blick ueber das Wasser aufs andere Ufer. Old Man River. Dann entlang des sog. ‚Moon Walk‘ zur Canal Station und hier merkte ich wie sehr mir meine Fuesse weh taten. Mein Schuhe waren mir etwas zu eng, normalerweise kein Problem, aber wenn man den ganzen Tag auf den Beinen ist eben schon. Rauf die Canal Street fand ich einen Footlocker und fragte, ob sie einen leichten Sportschuh haetten, so was wie den Adidas Samba vielleicht. Hatten sie nicht, aber der Verkaeufer wurde hellhoerig, ob er mir denn was anderes von der deutschen Traditionsmarke anbieten duerfte, na klar, von mir aus. Er legte mir den Stan Smith Signature Sportschuh ans Herz, passte wie angegossen, in schwarz oder weiss, mmh, dann lieber schwarz. Ich erzaehlte ihm, dass meine Heimatstadt gar nicht weit weg vom Adidas Headquarter liegen wuerde und das interessierte ihn. Er fragte mich, ob ich denn auch wuesste wofuer Adidas steht und das konnte ich selbstverstaendlich bejahen. Ich erklaerte ihm dafuer warum die Leute in Deutschland sich seit einiger Zeit lieber Adi als Adolf nennen und warum die deutsche Nationalmannschaft 1954 die Weltmeisterschaft wirklich gewonnen hatte (Schraubstollen). Er hoerte aufmerksam zu und beschoss unsere Unterhaltung mit den weisen Worten: „That’s Sneaker-History!“
Danach ein kurzer Snack und zu Fuss entlang St. Charles Street bis Felicity and runter zu Annunciation zum Hostel. Ich war platt wie eine Flunder, hatte mir einen leichten Sonnendbrand eingefangen, wollte nach einer kurzen Erholung zwar noch zu einem Konzert, konnte mich aber nicht mehr aufraffen.
@Dennis: Wer liegt denn auf dem Friedhof #1 begraben? Und: Schönes Foto vom Friedhof #2 🙂
@Stefan: Auf No. 1 liegt eine beruechtigte Voodoo Meisterin begraben, mehr weiss ich auch nicht. Habe aber mal kurz ueber die Mauer gesehen: Die Mausuleen stehen etwas enger, aber ansonsten ist alles aehnlich wir bei No. 2.
Habe dort auch ein paar Filmclips gedreht.
ein soundfile wär jetzt cool, gibt das dein blog her?
@Bernhard: Wuerde vielleicht gehen, waere mir aber zu aufwaendig und zeitintensiv. Du findest sicher was im Netz, Stickwort: Brassband, Jackson Square, New Orleans. Um mich rum haben alle gefilmt wie bloed.
danke, hammer geil, da bekommen die SPD Super nen Spontaninfarkt man das geht ab https://www.youtube.com/watch?v=YmYh910R9lo
@Bernie: Genau die Jungs habe ich gesehen, danke fuer den Link.
Ja also, da is er ja der Friedhof. Sehr beeindruckend! Würd ich mir auch mal gern ansehen.
Voodoomeisterin…grusel
Hihi: SPD-Senioren-Dixie-Gehupe trifft tight as a rats ass.
Gefällt!
Apropos Adi/Adolf: Ich habe gerade eine länger Autofahrt hinter mir. In Bayern 2 gabs „1:1 der Talk“. Als Gast der Kultmoderator Ado Schlier. Mein mitreisender Kollege und ich haben gerätselt, ob das vielleicht auch ursprünglich mal ein Adolf war.
dito zu SPD Dixie Gehupt hehe
hab die Sendung auch gehört, Ado gibts als eigenständigen Vornamen, http://de.wikipedia.org/wiki/Ado bei seiner Historie, weil mit Juden befreundet und Jahrgang 35 könnte ihm der Namen später zurecht sehr unangenehm gewesen sein…nix dazu gefunden..
wikipedia führt in auch als Adolf im Gegensatz dazu steht der Dasslers Adi als Adolf drin…
@dennis: ich sitze gerade im Bus nach Amsterdam und lese mit WLAN deine Blogeinträge – Danke www.
2 Fragen: Zahlen die Angehörigen der Toten auch Eintritt zum Friedhof?
Öffentliche Verkehrsmittel sind nicht nutzbar?
Die Unterhaltung mit dem Schuhverkäufer fand ich sehr witzig.
sneaky story fürwahr…harhar
Ob die Anhoerigen auch zahlen muessen kann ich nicht sagen, wahrscheinelich sind aber genau die, die Certified Guides!
Aber im Ernst: Die meisten Mausoleen sind schon so alt (teilweise 19. Jhdt) , das ich gar nicht sicher bin, ob es noch so viele Angehoerige gibt. Auf No. 2 waren einige der Mausoleen schon ziemlich zerbroeselt und kollabiert, kann gut sein, dass das 2005 auch alles komplett unter Wasser stand.
Oeffentliche Verkehrmittel nutze ich seit gestern. Im Friedhof, in den Parks, im Frenchquarter und entlang des Mississippi machte das aber natuerlich erstmal keinen Sinn. Habe ehrlich gesagt auch die Distanz vom Hostel zur Innenstadt unterschaetzt und die hohe Luftfeuchtigkeit und Waerme tut ihr uebriges. Wahrscheinlich beanspruchen mich auch die vielen, neuen Eindruecke mehr als sonst.
Viel Spass in Amsterdam. Und auf dem Rueckweg nicht mit Mitbringseln erwischen lassen!