Mainpost: Eine Viertelmillion Chinesen hört Schütze

Der Würzburger Musiker kam mit einem Song im Reich der Mitte groß raus – aber hat nichts davon

Von Joachim Fildhaut

Würzburg – Der Songwriter Dennis Schütze publiziert äußerst fleißig, von der Country-CD über Partyknaller bis hin zu experimenteller Musik. Einige Veröffentlichungen, vor allem die jüngeren, kann man nur im Netz anhören. Dazu hat Schützes Online-Label Fuego Verträge mit mehreren so genannten Streaming-Portalen.
Kürzlich kam die Quartalsabrechnung für alle Klicks im Sommer. Und siehe: Es gab ein ganz klein bisschen mehr Geld. Um dieser angenehmen Unregelmäßigkeit auf den Grund zu gehen, las der Künstler ausnahmsweise mal die Tabellen, die der Abrechnungsmail anhingen. Da gab es extreme Werte bei dem Cover von Taylor Swifts „Shake it off“. Den Hit hatte Schütze mit seiner Party-Band „Die Musikstudenten“ originell spartanisch akustisch interpretiert.
Nett, aber ein Knaller? Die Klick-Raten konnten nur ein Fehler sein.
Nun, Schütze musste wegen einer aktuellen Produktion sowieso beim Label anrufen, nutzte die Gelegenheit und fragte nach der seltsamen Internet-Erscheinung. Ihm wurde bestätigt, die Statistik sei ganz sicher kein Fehler, sondern vollkommen korrekt: Im dritten Quartal war der Titel 230 000 Mal gestreamt worden. Man könne auch genau sagen wo – nämlich in China. Pro Stream gebe es übrigens 0,01 Cent, macht zusammen 23 Euro.
Der Würzburger Gitarrist fand das nicht nur beeindruckend, er wunderte sich „gleichzeitig über ausbleibende Glücksgefühle“. Denn hätte man ihm noch vor Jahren mitgeteilt, dass ein von ihm produzierter Titel 230 000 Mal abgespielt und vielleicht von noch mehr Menschen angehört werden würde, er hätte zweierlei gesagt. Erstens: sehr unwahrscheinlich. Zweitens: „Falls das je passiert, bin ich finanziell wohl einigermaßen saniert.“ Aber das Musikgeschäft hat sich anders entwickelt. Da gibt es zwar diese Viertelmillion Chinesen, die seine Musik gehört haben. Sonst aber trafen bei Dennis Schütze weder Fan- oder Glückwunschmails ein, es gab keine Interviewanfragen oder Konzertangebote.
Der fernöstliche Hit-Erfolg, sagt Schütze, „fühlt sich leider nicht irgendwie glorreich oder besonders an, eher fremd und ja, auch ein bisschen deprimierend“. So fragt er sich: Wer sind diese 230 000 Streamer? Wann und wo läuft meine Musik? Was machen die chinesischen Zuhörer, während „Shake it off“ läuft?
Seine selbstproduzierte Musik, das Ergebnis seines individuellen, erfüllenden Arbeitsprozesses, sei „mit diesen Zugriffszahlen endgültig zum austauschbaren Massenprodukt im gesichtslosen, globalen Irgendwo geworden“, meint der Musiker leicht fatalistisch. Gegen solch ein Leeregefühl helfe vielleicht ein Abendessen, dachte sich Dennis Schütze, und lud seinen Mitmusiker des Asien-Hits, Camilo Goitia, in ein günstiges Restaurant ein.
Trotzdem reichte die Tantiemenausschüttung ihrer 230 000 Streams nicht für zwei. „War echt lecker“, lobt der Musiker, „nach chinesischem Essen war mir an dem Tag aus irgendeinem Grund nicht zumute“.

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