Buch: „The Longest Way“ von Christoph Rehage

LongestWay2007 wollte der damalige Student Christoph Rehage von seinem Studienort Beijing zurück in seine Heimat nach Norddeutschland zu Fuß laufen. Er startete im November am Morgen seines 26. Geburtstages mit 30 Kilo Gepäck und legte innerhalb von knapp zwölf Monaten zusammengenommen 4646 Kilometer bis zur westchinesischen Stadt Ürümqi zurück. Ganz bis nach hause schaffte er es zwar nicht, trotzdem handelt es sich ohne Frage um eine außergewöhnliche Unternehmung. Rehage dokumentierte seine Wanderung damals mit Texten, Fotos und Filmen auf einem eigenen Reiseblog. Nach seiner Rückkehr arbeitete er mehrere Jahre an einer umfassenden Verschriftlichung. 2012 erschien das gebundene Buch „The Longest Way“ bei Malik, es folgten Übersetzungen auf chinesisch und russisch, 2014 erschien die deutsche Taschenbuchausgabe bei Malik / National Geographic.

Rehage hat sich für sein erstes Reisebuch umfangreich vorbereitet und sich viel Zeit dafür genommen. Immerhin vergingen vom Ende der Wanderung bis zur Veröffentlichung des Buches ganze vier Jahre. Allerdings gab es auch viel zu erzählen und dem Autor ist tatsächlich das Kunststück gelungen eine von vielen langweiligen Routinen geprägte Zeit sehr spannend und unterhaltsam aufzubereiten. Natürlich spielen auch hier wie bei anderen Extremwandertouren Ernährung, Ausrüstung, Kondition, Motivation etc. eine zentrale Rolle. Darüber hinaus geht Rehage aber auch auf direkte Tuchfühlung mit Land und Leuten, berichtet von Landschaften und Volkskultur, von klimatischen Bedingungen und dem Wechsel der Jahreszeiten, von verschiedenen Bevölkerungsgruppen, vom Unterschied zwischen Stadt und Land und von sehr vielen besonderen Begegnungen mit einfachen, aber oftmals sehr hilfsbereiten Menschen im chinesischen Hinterland. Zugute kam ihm dabei seine relative Vertrautheit mit Sprache und Kultur (er hat vor Beginn der Wanderung bereits längere Zeit in Beijing gewohnt und studiert). Aufgepeppt wird die ausgedehnte Reisebeschreibung zusätzlich durch die ein oder andere Selbstbetrachtung. Dabei werden die eigene Herkunft, Familienverhältnisse, freundschaftliche, partnerschaftliche und körperliche Beziehungen thematisiert. Manchem mag das eventuell etwas zu detailliert erscheinen und sicherlich zeigt Rehage hier leicht narzisstische Züge. Wen interessieren z.B. schon seine One-Night-Stands? Andererseits finden in eben diesem Passagen auch die Einsamkeit und Verlorenheit des Wanderers einen deutlichen Ausdruck. Seine allgegenwärtige Muse während der gesamten Wanderung ist seine chinesische Freundin Juli, die zeitgleich in München studiert. Sie mailen, smsen und skypen, treffen sich zwischendurch auch mehrmals, sehr viel erfährt man von der sympathischen, jungen und äußerst geduldigen jungen Dame allerdings nicht. Auch wie das Verhältnis schließlich endet bleibt mehr oder weniger offen. Man kann diese Ich-Bezogenheit und Nicht-Festlegung des Autors allerdings auch als eine der großen Stärken des Buches verstehen. So wie die Wanderung irgendwann trotz eiserner Prinzipien abgebrochen werden musste, so werden auch manche Anekdoten und Geschichten eben gerade nicht bis auf’s Letzte ausgebreitet und zu Ende erzählt. An den entsprechenden Stellen bekommt der Reisebericht mitunter fast schon eine gewisse literarische Qualität. Zur Dokumentation hat der Filmstudent Rehage eine Auswahl seiner Fotos zu einem preisprämierten Kurzfilm zusammengestellt. Der Clip besteht aus einer rasend schnell aneinandergereihten Folge von Selfies vom Anfang bis Ende seiner langen Reise, unterlegt mit einem treibenden musikalischen Songtrack.

In den Sommern 2010 und 2012 ist Rehage erneut aufgebrochen und hat seine Wanderung Richtung Westen in zwei Etappen bis zur Landesgrenze nach Kirgisistan fortgeführt. Dazu gibt es erneut Blogeinträge und kleine Filmchen, zu einem weiteren Buch wird es vermutlich nicht reichen, seine Geschichte ist auserzählt. Er sollte sich nun neuen Dingen zuwenden, das Laufen wird er vermutlich beibehalten, dazu muss man ihn wohl nicht drängen. Unbedingt pflegen sollte er aber auch seine erzählerisches Talent, seine Schreibweise und sein Stil machen unbedingt Lust auf mehr.

Das Taschenbuch enthält etliche stimmungsvolle Farbfotos, erscheint bei Malik / National geographic und kostet 14,99 €.

3 Gedanken zu „Buch: „The Longest Way“ von Christoph Rehage

  1. „von vielen langweiligen Routinen geprägte Zeit “
    meinst Du das ernst? 🙂
    Mir kam der Gedanke: Muß man unbedingt solche Strapazen und Einsamkeiten auf sich nehmen, nur um DAS LEBEN ZU SPÜREN?
    Hey, das Leben ist EIGENTLICH per se bunt und abenteuerlich und kann in jedem Moment spannend sein. „Das ist eine Frage der Chemie“.
    Ich sehe die Notwendigkeit von eigens hergestellten Abenteuern nicht.

    • @Gerhard: Die „langweiligen Routinen“ umfassen z.B. laufen, laufen, laufen, essen, trinken, Schlafplatz suchen oder Zelt aufstellen, schlafen, Wäsche waschen, Wäsche trocknen, Fotos sortieren, Blog schreiben, Wunden behandeln, Visa besorgen, etc. pp.
      Die wirklich aufregenden Ereignisse sind relativ übersichtlich und auch die haben repetitive Tendenzen. Fremde Leute treffen, sich rudimentär austauschen, zusammen essen und trinken, Verabschiedung, weiterziehen.

      Nach etlichen solcher Reisebeschreibungen verstehe ich immer weniger warum sich die Leute solche extremen Aufgaben auferlegen. Scheint durchaus ein Zivilisationsauswuchs des übersatten westlichen Lebens zu sein. Long Distance Hiking gegen den sinnlichen Bore Out.

      Hat immer auch was mit Davonlaufen zu tun, hilft nur nichts, man sollte sich den inneren Dämonen stellen um wenigsten die Chance zu haben sie zu besiegen. Man fragst sich wie viel tausend kilometer diese Leute laufen müssen bis ihnen das klar wird.

      Rehage hat während seiner Langzeit-Wanderung die viel versprechende Beziehung zu der Chinesin Juli riskiert und anscheinend an die Wand gefahren, das wäre die wahre und aus meiner Sicht größere Herausforderung gewesen.

      Will sagen: Deine Einwände kann ich sehr gut nachvollziehen.

      • Ok, dann habe ich den zitierten Satz falsch verstanden, ihn auf Dich gemünzt verstanden. Sorry!

        Laufen = Davonlaufen, eigentlich immer.

        „Rehage hat während seiner Langzeit-Wanderung die viel versprechende Beziehung zu der Chinesin Juli riskiert und anscheinend an die Wand gefahren, “
        Das sah ich auch so bei Hesse, der eine mind. zwanzig Jahre jüngere, blühende Frau kennenlernte, die ihn enorm anzog, aber er lies die Beziehung von Anfang an austrocknen. Die Hürde war dann doch zu groß. Aber wie Hürden angehen, wenn die Ängste einfach zu groß sind??

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