Buch: „Das großartige Leben des Little Richard“ von Mark Ribowski

Mark Robowski ist US-amerikanischer Autor und hat in den vergangenen Jahrzehnten neben Sachbüchern zu sportlichen Themen etliche Biographien über z.B. Hank Williams, Lynyrd Skynyrd, Otis Redding, Phil Spector, The Supremes, Stevie Wonder oder The Temptations veröffentlicht. Nun hat er sich mit dem Sänger und Pianisten Little Richard befasst, dem selbsternannten Architekten des Rock and Roll, der mit seiner widersprüchlichen und unvorhersehbaren Erscheinung zu den archetypischen musikalischen Figuren des Rhythm & Blues und Early Rock and Roll wurde. „The Big Life of Little Richard“ erschien 2020 im amerikanischen Original und im Frühjahr 2021 zusätzlich in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Das grossartige Leben des Little Richard“.

„A wop bop a loo bop, a lop bam boom” ist die Scat-Phrase mit der der junge Richard Penniman am Anfang seiner Einspielung „Tutti Frutti“ (1955) ein Schlagzeugintro stimmlich zu imitieren versuchte und mit der er unter dem Künstlernamen Little Richard seinen ersten R&B-Hit verzeichnen konnte und im weiteren Verlauf Weltruhm erlangen sollte. Geboren in Macon, Georgia, wie er oft genug betonte, geriet er als extrovertierter Sänger früh in schwarze Musikerkreise seiner Heimatstadt und konnte so seine ungewöhnlichen Neigungen ungehemmt entwickeln und ausleben: Homosexualität, Bi-Sexualität, extravagante Frisuren & Klamotten, Schminke, Alkohol, Drogen, Ekstase, religiöser Fanatismus, Feiern, Party, Tanz, Perversitäten und Exzesse aller Art und Couleur. Nach ersten unspektakulären Aufnahmen in der Region entsteht ein Kontakt zu Art Rupe, dem Labelchef von Speciality aus L.A. Es folgen Aufnahmen mit der Backing Band von Fats Domino in einem Studio in New Orleans unter der Aufsicht des Produzenten Bumps Blackwell. In kurzen zeitlichen Abstand erscheinen die legendären Singles „Tutti Frutti“, „Long Tall Sally“, „Slippin‘ and Slidin‘“, „Rip it Up“, „Ready Teddy“, „Lucille“ etc., die in der Debut-LP „Here’s Little Richard“ (1957) zusammengefasst werden.

Richard ist ein Energiebündel, ein herausragender Liveperformer, tourt im ganzen Land, tritt im TV und in Kinofilmen auf. Zusammen mit Fats Domino und Chuck Berry vertritt er die schwarze Seite des frühen Rock and Roll und trägt als lustiger Paradiesvogel zwar unbeabsichtigt, dafür aber wesentlich zu epochalen gesellschaftlichen Veränderungen bei.

1959 ist die Epoche des Early Rock and Roll allerdings bereits wieder zu Ende. Elvis in der Army, Jerry Lee Lewis fällt aufgrund der Heirat seiner 13-jährigen Kusine zweiten Grades in Missgunst, Buddy Holly und Richie Valens verunglücken tödlich, Carl Perkins wird bei einem Autounfall schwer verletzt. Und Little Richard? Wendet sich ab vom teuflischen Rock and Roll, wirft seine Diamant- und Goldringe ins Meer, zerreißt seine farbenfrohen Hemden, besucht eine Predigerschule, nimmt erfolglose Gospelalben auf.

In den weiteren Jahrzehnten folgen noch sporadisch einige Aufnahmen und Alben, oft genug neue Aufnahmen von alten Songs oder neue Songs im alten Stil, einzige hörenswerte Ausnahme: „The „Rill“ Thing“ (1970), ansonsten lebt er von seinem eigenen Mythos, den er weiter aktiv am Leben erhält.

Richard versteht sich selbst als Original und Ikone des Rock and Roll und wird so auch von allen behandelt. Er behauptet James Brown und die Beatles entdeckt und gefördert zu haben, was nicht stimmt, aber die Fab Four wiedersprechen selbstverständlich nicht. Erstaunlicherweise konnten ihm alle Verirrungen und Vergehen auf seinem Weg nichts oder kaum etwas anhaben. Während andere wegen einzelner Abweichungen in Ungnade fielen (Jerry Lee Lewis!), fand Richard immer einen Weg durch sein selbstverursachtes Chaos.

Mark Ribowski fasst das grossartige Leben des Little Richard gut zusammen (deutsche Übersetzung nahezu einwandfrei), allerdings franst die Erzählung nach 1962 spürbar aus, bevor sie ab Mitte der 1970er dann quasi zum Stillstand kommt, weil bis zu Richards Tod 2020 quasi nichts nennenswertes mehr passiert. Das ist natürlich nicht die Schuld des Autors, aber er versäumt leider wissenswerte Verbindungen zu gesellschaftlichen Entwicklungen aufzuzeigen bzw. lesenswert in die Erzählung einzuweben. Daher hat er der 20 Jahre vorher erschienenen Biographie „The Life and Times of Little Richard“ von Charles White kaum etwas hinzuzufügen und das ist bedauerlich.

Empfehlung: Wer sich für den größeren Zusammenhang interessiert sollte anschließend „A wop bop a loo bop a lop bam boom“ von Nik Cohn, „Sweet Soul Music“ von Peter Guralnick und „Blue Monday“ von Rick Coleman lesen.

Das Taschenbuch erscheint bei hannibal, hat 224 Seiten und kostet 23 Euro.

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