Als ich im am Freitagmorgen in meinem Zimmer in der Pilgerherberge erwachte, war es ganz still im Haus. Ich machte mich frisch, zog mich an und fuhr mit dem Rad die Hauptstraße abwärts zum Haus der Familie Issing. Das Ehepaar war schon längst wach, saß am Frühstückstisch und lud mich dazu. Die beiden betreuen als Herbergseltern die Pilgerunterkunft im alten Pfarrhaus, das extra dafür umgebaut wurde. Alle paar Tage kommen dort Pilger vorbei, die meistwandern entlang des Fränkischen Marienwegs Richtung Süden, es sind ca. 100 Pilger pro Jahr. Wir machten noch schnell ein Foto, dann zog ich mich an den Rechner zurück und begann den Blogartikel zu schreiben. Das Ehepaar zog los zur Kirschenernte. Die Früchte sollen später zu selbsthergestellten Obstbrandt verarbeitet werden.
Als ich fast fertig war mit meiner Arbeit, schaute noch Pater Albert Pongo mit Diakon und Pater Johannes aus Uganda vorbei. Ich hatte am Vortag vergessen ein gemeinsames Foto zu knipsen, jetzt waren die drei unterwegs zu einer mittäglichen Essenseinladung und legten für mich einen kurzen Stopp beim Haus der Issings ein, dann fuhren sie weiter.
Die Issings kamen kurz danach vom Ernteausflug zurück, es gab noch eine leckere Brotzeit für die Helfer und mich, dabei wurde wieder viel geredet. Es ist Jammerschade, dass ich diese unterhaltsamen und teils sehr lustigen Gespräche im Dialekt nicht wiedergeben kann. Es war einfach herrlich.
Pilgerherberge im Alten Pfarrhaus
Nach der Verabschiedung ging es für mich auf’s Rad, los Richtung Gänheim, wo ich gestern Abend bereits gewesen war. Der Weg dorthin neben der Autostraße ist als Fahradweg verzeichnet, war aber außergewöhnlich. Aus dem Asphalt sprießen ganze Büschel von Gras und Blumen aller Art. Es war definitiv der abenteurlichste und botanisch artenreichste Straßenbelag der bisherigen Tour:
Von Gähnheim ging es entlang der Wern Richtung Arnstein, diesmal von Osten her. Vorbei an der ortsansäßigen Brauerei „Herzog von Franken“, kurz danach rechts um die Ecke in die Altstadt. Ich bog in die Goldgasse und fuhr über hoppeliges Kopfsteinpflaster bis zur ehemaligen Synagoge. 1938 wurde die letzte jüdische Mutter mit ihrem Kind aus Arnstein vertrieben. In der Nachkriegszeit wurde das Gebäude anderweitig genutzt. Heute ist dort ein Kulturzentrum eingerichtet, das von einem Verein betrieben wird. Immer wieder finden dort kulturelle Veranstaltungen und interessante Konzerte statt.
Über den zentralen Platz ging es für mich weitere nach Nordosten auf dem Radweg Richtung Schwebenried. Der Himmel war grau, aber es fiel noch kein Regen. In Schwebenried war ich am frühen Nachmittag mit dem Liedermacher Siggi Juhasz verabredet. Er war mir als Person und Musiker bereits bekannt, heute besuchte ich ihn zum ersten Mal bei ihm daheim. Siggi hat erst vor kurzem seine Zahnarztpraxis geschlossen und hat noch diverse Sachen zu regeln.
Wir setzten uns in sein Tonstudio und er begann mir selbstverfasste Lieder im Dialekt anzusingen. Anlass für mich meine Kamera auszupacken und ein paar Lieder mitzufilmen. Die Lieder und Texte gehen wirklich ans Herz, auch wenn ich nicht jedes einzelne Wort verstanden habe, war ich tief berührt. Siggi überlegt, ob er als nächstes ein Album mit eigenen Liedern im Dialekt produzieren soll. Ich halte das für eine sehr gute Idee und habe ihn darin bestärkt. Hier eine kleine Kostprobe, es geht um die Werntaleisenbahn, Siggi schickt einige erläuternde Sätze voraus.
Von Schwebenried ging es über die Felder leicht bergauf nach Altbessingen.
Als ich dort die Kirche betreten wollte, fand ich sie verschlossen. Ich stand ratlos davor. Es dauerte nicht lange, da kam von gegenüber ein Mann mit Hund an seiner Seite. Er hatte mich von einem Fenster seines Hauses gesehen, verwaltete den Schlüssel um mir zu öffnen, war also so eine Art Gatekeeper.
Zusammen traten wir in die Kirche ein, der Hund blieb draußen. Drinnen setzten wir uns auf zwei Bänke und unterhielten uns über Kirche, Dorf, Gott und die Welt.
Kurz danach kam noch seine Frau dazu, sie fragte sich wahrscheinlich, was wir da in der Kirche so lange zu besprechen hatten. Zu dritt redeten wir über die Dorfstruktur und wie sich die Dinge verändern. Auch hier ziehen die Kinder und Enkel in die umliegenden Städte und kommen oft nicht wieder zurück. Es ist das alte Lied: Kindergärten und Schulen werden geschlossen, zusammengefasst und verlegt. Die Wege werden immer weiter, die Orte immer ruhiger.
Für mich ging es weiter nach Neubessingen, bergauf und bergab über die Felder. Von da aus kam ich aber nicht mehr weiter ohne den Landkreis zu verlassen und drehte daher wieder um. Jetzt saß mir eine dunkle Wolkenwand im Nacken.
Ich sauste zurück nach Altbessingen, von dort aus ohne weitere Zwischenfälle nach Westen Richtung Sachserhof. Ich spürte bereits die ersten Regentropfen auf den Unterarmen, war dem Regenguss aber immer einige hundert Meter voraus. Ab Sachserhof wurde es wieder besser, die Himmel öffnete sich und die Sonne kam heraus.
Von da an ging es bergab bis zu meinem Etappenzeil Obersfeld, einem Teil von Eußenheim. Meine Unterkunft beim Ehepaar Luck war schnell gefunden. Ich kam fast gleichzeitig mit dem Hobbyhistoriker und Hilfsarchivar Karl Scherpf an und wurde von allen Anwesenden herzlich begrüßt. Kurze Dusche und umziehen, dann setzen wir uns auf die Terasse, dort kamen noch Janette und Christa dazu, wir aßen leckeren Kuchen und tranken Kaffee. Herr Scherpf erzählte von der Dorfgeschichte, wie die Brunnen erschlossen wurden und wie die Wasserversorgung heute geregelt ist. Höhepunkt im Dorfleben war vor einigen Jahren die lang geplante 1200-Jahr-Feier. Bereits bei den Vorbereitungen und auch danach sind die Einwohner ordentlich zusammengerückt. Hier entstand auch die Idee zu einem Dorfladen, der mit Unterstützung des Regionalmanagements des Landkreises tatsächlich umgesetzt worden ist. Ich war auf meiner Fahrt durch das Dorf bereits daran vorbei gefahren und hatte eine Foto gemacht.
Wie viele andere Dinge werden solche Projekte natürlich in erster Linie vom Engagement einzelner Bürger getragen, so ist es auch hier. Überhaupt ist es eine Erfahrung meiner Rundtour: Wo sich die die Bewohner für die Gemeinschaft engagieren, bekommen sie oft auch Unterstützung von Behörden, aber vor allem wird das soziale Miteinander in den Dorfgemeinschaften aufgewertet und der Ort selbst viel interessanter und attraktiver.
Herr Schrepf verabschiedete sich irgendwann, wir anderen blieben noch sitzen und führten anregende Gespräche. Ich erzählte von der Tour, die freundlichen Obersfelder von ihrem Dorf. Dann servierte Frau Luck vorzügliches Abendessen und es wurden diverse Weine der Region ausgiebig verköstigt. Es wurde noch ein langer, feucht-fröhlicher Abend. Wir haben viel gelacht und ich habe mich sehr wohl gefühlt. Vielen Dank für alles.
Heute erschien im Karlstädter Regionalteil der Mainpost der Artikel von Johannes Schreiner über Tagesetappe 7 mit Landrat Thomas Schiebel. Vielleicht ist er auch am letzten Tag noch einmal dabei.
Morgen geht es entlang des Bachgrunds von Obersfeld nach Weyersfeld. Dort werde ich vom Bürgermeister erwartet.
Wird immer runter!
Nein, nicht Dein Umfang, sondern die Artikel 🙂 Chapeau!
Würde als Aussenstehender vorschlagen, im nächsten Jahr eine Tour QUER durch den Main-Spessart zu machen, da gibt’s sicher auch noch Abwechslungsreiches. Das lässt sich sicher noch toll ausschöpfen.
Äh, meinte natürlich „rund“, nicht runter…tja, das Fränkische…
Die Leute schon wieder so nett, gerichtet wie immer ein Bett, zu speisen wohl mehr als genug, Gesang über den Werntalzug, viel schönes in Etappe 8, zu bald ist diese Tour vollbracht. Zu meinem großen Bedauern lässt mich der Gedanke schauern, denn Dennis-Texte zu lesen, ist wichtig für mich gewesen. Noch ist es nicht gänzlich vorbei mit der stilvollen Schreiberei. Bleibt zum Leseglück noch ein kleines Stück.
@Barbara: Der erste gereimt Kommentar auf diesem Blog, hurra. Ich bleibe vorerst noch bei der epischen Form, wird sonst zu kompliziert!