Konzert: Anfang & Ende (2. Sinfoniekonzert)

IMG_2035Gestern war ich beim 2. Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters unter dem Motto „Anfang & Ende“ in der Würzburger St. Johanniskirche. Geboten wurde die Uraufführung einer zeitgenössischen Komposition und im Anschluss daran das „Deutsche Requiem“ von Johannes Brahms. Ich habe an dem Abend viel über mich gelernt.

Die evangelische Johanniskirche bot einen ausgesprochen würdevollen und feierlichen Ort für das klassische Konzert. Und so war der Publikumsandrang entsprechend groß und die zu diesem Anlass durchnummerierten Holzkirchenbänke ordentlich besetzt. Nach einigen einleitenden, aber akustisch kaum verständlichen Sätzen des verantwortlichen Dirigenten Enrico Calesso begann der Abend mit der Auftragskomposition „And here again – eine Perlenlandschaft“ des Südkoreaners Kunsu Shim. Das Werk bot für den normalen Maßstab ungewöhnliches, für Neue Musik aber anscheinend zwingend erforderliches Instrumentarium. Einer der Percussionisten hantierte das gesamte Stück über mit diversen Küchengerätschaften (Sieb, Schneebesen, Kochlöffel), es war aber eher was für’s Auge als für’s Ohr, denn man hörte davon so gut wie nichts. Bei dem Werk handelt es sich um eine Art Orchesterstudie von ca. 12-15 Min Länge. Es besteht fast durchgehend aus auf- und abschwellenden, dissonanten Akkorden des gesamten Orchesters. Schön sphärisch als Einstimmung, aber selbst auf die für sinfonischen Verhältnisse recht kurze Dauer zum Ende hin bereits etwas ermüdend, weil nach dem statischen Akkordnebeln nicht mehr viel anregendes folgt. Da war man dann schon dankbar dem schwerbeschäftigten Percussionisten beim Utensilienwechsel zusehen zu können und Vermutungen anzustellen was er wohl als nächstes hervorzaubern und hoch in die Luft strecken würde (Spätzlepresse?, Gurkenhobel?). Ich hatte auch den Eindruck, dass weitere Proben der Interpretation nicht geschadet hätten. Die leisen Klänge setzten nicht immer präzise simultan ein und selbst bei den Dissonanzen waren insgesamt immer wieder Intonationsschwächen zu hören. Oder gehörte das zum Stück und war Absicht? Würde dazu gerne mal die Meinung des extra angereisten Komponisten hören.

Nach einer kleinen Umbaupause (mehr Musiker, Chor) begann danach das „Deutsche Requiem nach Worten der Heiligen Schrift“ von Brahms. Es ist ein zentrales Werk im Schaffen des norddeutschen Komponisten, zählt zur Hochromantik und wurde im Jahr 1868, also vor ca. 150 Jahren, uraufgeführt. Brahms komponierte die Totenmesse in noch relativ jungen Jahren über selbst ausgewählte Texte aus dem Neuen und Alten Testament in deutscher Übersetzung. Das insgesamt siebensätzige und damit etwa einstündige Werk wurde bei angenehmer Raumakustik überzeugend dargeboten, die Musiker haben routiniert gespielt und der Chor und Extrachor hat inbrünstig gesungen.

Wirklich erreicht hat mich die Musik leider nicht. Und hier sind wir nun bei dem Teil bei dem ich etwas über mich gelernt habe. Ich konnte persönlich einfach keinen Anschluss finden. Die Texte des Requiems sind gesungen in voller Chorstärke naturgemäß nahezu unverständlich. Als ich dann im Programmheft parallel mitlas wurde ich allerdings auch nicht schlau daraus. Die Bibel selbst ist ja nun nicht eben besonders sinnvoll, spannend oder poetisch gestaltet, das wissen wir bibeltreuen Christen ja alle aus dem Kommunionsunterricht. Hier wurden nun zusätzlich einzelne Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und scheinbar willkürlich collagiert. Die Musik dazu war so wie man sich post-feudalen bzw. großbürgerlichen Bombast in hochromantischer, vollsinfonischer Instrumentierung eben vorzustellen hat. Mit introspektiven Kleinstformen der frühen Romantik (Schubert, Schumann) hat das so viel zu tun wie ein alter Chaplin-Film mit Blockbustern wie „Transformers 4“ oder „Iron Man 3“.
Mir war alles zuviel: Die prähistorischen, mir vollkommen unverständlichen Texte, die Wuchtigkeit der Besetzung, die immer gleichbleibende harmonische Sprache, die Bewegungslosigkeit auf der Bühne, die schiere Länge, die harten Holzbänke, die verkrampfte Anspannung im Publikum. Es war alles furchtbar anstrengend und ich dachte die ganze Zeit: Bin ich ein Banause, dass ich das nicht genieße, dass ich nicht beeindruckt bin, dass mein Rücken vom Sitzen schmerzt, dass mir immer wieder mein Bein einschläft und ich mich auf den Schlussakkord freue?
Ich glaube mit einem Getränk, einem gepolsterten Sessel, einer kleinen Verkürzung des Werkes hätte ich etwas mehr Spaß gehabt. Vielleicht war ich aber auch einfach nicht in Stimmung für ein Requiem, der Tag war auch so schon anstrengend genug, ich wollte mich bei schöner Musik entspannen und nicht zusammenkrampfen.
Sicher ist auf jeden Fall, dass es nicht am Dirigenten, den Musikern und den Chorsängern lag. Die armen SängerInnen mussten ja auch noch die ganze Zeit stehen (daher wohl die Inbrunst). Es ist ein Wunder, dass nicht ein paar von den reiferen Damen aus dem Chor wegen Erschöpfung einfach nach vorne auf die Blechbläser gekippt sind. Es wäre interessant zu wissen wie sie sich mental vorbereitet haben, denn sie standen da wie festgenagelt.

Nein, die Interpreten trifft keine Schuld. Dass der Abend für mich so anstrengend war, lag an der großkotzigen Klangsprache und Instrumentierung der deutschen Hochromantik, es lag an der hochkulturellen Erhabenheit, der atmosphärischen Verkrampftheit und der extremen Ungemütlichkeit des Zuhörerraums und es lag daran, dass sich 90 Min nichts anatomisch bewegt hat außer die Arme des Dirigenten.
Aber eigentlich, und das wissen wir alle, liegt es natürlich an mir selbst. Ich versuche es gerne zur verschleiern und durch meine diversen akademischen Ausbildungen und Studiengänge gelingt mir das auch ganz gut, aber ich bin nun mal ein Kind der Popkultur. Meine musikalische Form ist die Single (3-4 Min), nach spätestens einer Albumlänge (45 min) ist normalerweise Ende mit Zuhören. Die Erfahrung hat mich gelehrt, wer bis dahin noch nicht gelandet ist, seine Aussage nicht formuliert und kommuniziert hat, der wird es auch in der Verlängerung nicht mehr schaffen. So etwas wie einen Siegtreffer in der 5. Minute der Nachspielzeit gibt es bei musikalischen Darbietungen nicht. Früher bin ich bei klassischen Konzerten oft in der Pause gegangen, habe mich quasi französisch verabschiedet (= gar nicht) und zwar nicht immer aus Missfallen, sondern weil ich einfach abgefüllt war, es war alles gesagt, mehr ging nicht, es war genug. Das war am gestrigen Abend nicht möglich, aber ich werde mir diese Option für kommende Konzerte weiter offen halten.

Der Bayerische Rundfunk (Studio Franken) hat das Konzert für eine geplante CD-Produktion (Frühling 2015) und eine Radioübertragung (BR-Klassik) mitgeschnitten. Das 3. Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Würzburg unter der Überschrift „Illusion & Wahrheit“ findet statt am 11. und 12. Dezember 2014 im Konzertsaal der Hochschule für Musik. Geboten wird ein italienisches Programm mit Puccini, Rossini, Verdi u.a.

6 Gedanken zu „Konzert: Anfang & Ende (2. Sinfoniekonzert)

    • Sorry Dennis, ich bin Agnostiker und auch sicher kein ausgewiesener Brahms Fan, aber dein Kommentar die Bibel sei “nicht eben sinnvoll, spannend oder poetisch” und die Musik sei “postfeudaler bzw. großbürgerlicher Bombast” ist für einen musikalisch und humanistisch gebildeten Menschen, für den ich dich halte, einfach nur ignoranter, auf den Effekt abzielender, Unsinn. Wenn du Entspannendes nach einem harten Tag hören willst, dann geh nicht in ein Requiem…kauf dir ne “Adagio” CD, mach ne Tüte Chips auf und setz dich in deinen Fernsehsessel, mit Fernbedienung für den CD Player zum skipen, falls es wieder mal zu lang wird…

      • @Michael: Willkommen auf diesem Blog und danke für den engagierten Kommentar.
        Wenn ich dich richtig verstehe, hältst du die Bibel oder etablierte Werke klassischer Musik für unantastbar, nicht diskutabel, unkritisierbar. Das wäre dann eine dogmatische Sicht auf die Dinge.
        Ich selbst glaube nicht an Dogmen, schon gar nicht an Dogmen vergangener Zeitalter. Dem wollte ich in meinem Beitrag auf – zugegebener Weise – etwas flapsiger Art Ausdruck verleihen.

        • @Michael: Ich denke, es ging Dennis in seinem Artikel weniger um religiöse oder musikalische Grundsatzfragen als um die Präsentationsform der Veranstaltung, die Haltung von Musikern und Publikum und das soziokulturelle Framework, also die “Welt” der klassischen Musik und alles, was damit zusammenhängt. Für Pop-Sozialisierte (also für mich z. B. auch) ist und bleibt diese Welt eben fremdartig und auf merkwürdige Art anachronistisch. Exakt diesem Unbehagen hat Dennis in seinem Text auf recht witzige und keinesfalls ehrabschneidende Weise Ausdruck verliehen.

          Ein Niveau, das deine Replik leider nicht durchgängig aufzuweisen vermag (“Skippen” schreibt sich übrigens mit zwei “p”).

          • Hallo Dennis, hallo Stefan,
            “Tipen” (äh “Tippen”) war noch nie meine Stärke 🙂
            Ich halte weder die Bibel, noch etablierte “klassische” Werke für unantastbar. Und mit flapsigen Kommentaren hab ich überhaupt kein Problem.
            Mir ist durchaus bewusst, dass der moderne Konzertbetrieb lediglich ein immer wiederkehrendes endloses Zitieren des ewig gleichen Repertoires ist. So gesehen hat jedes klassische Konzert etwas Epigonenhaftes. Aber gilt das nicht auch für die Popmusik ?Auch ich bin ein Kind dieser Kultur. Aber wo ist der Unterschied wenn ein Werk aus dem 19.Jh. aufgeführt, oder ein ein Song aus den 60ger Jahren gecovert wird? Auch die Popmusik bedient bei Konzerten meist lediglich den Publikumsgeschmack und pflegt ihre eingefahrenen Rituale. Es ist ziemlich egal, ob man in einer kalten unbequemen Kirche sitzt und einen Brahms hört, oder in Wacken im Regen “Wall of Death” zelebriert, oder Feuerzeuge zu “Freiheit” geschwungen werden…Man kann eine Zeile wie: “Denn alles Fleisch es ist wie Gras” als schwülstigen Petrus Mist abtun, oder als Poesie bezeichnen. Unsere Generation kann auch wirklich nichts dafür, was die zahllosen religiösen Gemeinschaften aus den Worten der Bibel gemacht haben. Für mich ist die Bibel keineswegs unantastbar, ebenso wenig wie viele Werke des “klassischen” Repertoires. Was mich gestört hat war der Umgang von Dennis mit seiner nicht erfüllten Erwartungshaltung.

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