Musikgeschichte: Ludwig van Schütze

IMG_3132Letztens saß ich mit einem meiner jüngeren Ukuleleschüler beim Unterricht in einem Zimmer meiner Privatwohnung. Wir hatten zu Beginn der Stunde ein paar ältere Stückchen wiederholt, er hatte brav die Melodien gespielt und ich zur Begleitung ein paar Akkorde darunter gelegt. Während ich ihm im Anschluss die neue Hausaufgabe anspielte, sah ich im Augenwinkel wie sein Blick abschweifte, zuerst von dem Ukulelenheft auf dem Notenpult rüber zum Tisch, von da aus über die Tastatur des Klaviers zu einen Stapel kopierter Noten, der ungeordnet darauf lag, schließlich bis zu der gerahmten Portraitzeichnung an der Wand darüber, auf der mein Urgroßvater Ludwig Hermann Schütze abgebildet ist. Hier blieb sein Blick hängen und verharrte. Ich hatte die ganze Zeit weitergespielt, beobachtete derweil seinen etwas müde gewordenen Blick und fragte mich, was ihm wohl gerade durch den Kopf ging. Ich kam zum Ende des kleinen Musikstücks. Nachdem der Schlussakkord verklungen war, betrachtete er immer noch, ganz in Gedanken versunken das Bild meines Urgroßvaters und ich fragte in die entstandenen Stille hinein: „Weißt du, wer das ist?“
Mein Schüler drehte seinen Kopf zu mir, zuckte mit den Schultern und sagte arglos: „Weiß nicht, Ludwig van Beethoven?“

13 Gedanken zu „Musikgeschichte: Ludwig van Schütze

  1. @Dennis: Keine Ahnung, da gibt’s alle Möglichkeiten … aber Beethoven war ja kein “Intellektueller” im heutigen Sinn, sondern frühbürgerlicher Komponist. Aber wenn ihr mich schon fragt, hier kommt ein Foto des us-amerikanischen Literaturkritikers Lionel Trilling, das ich hervorragend finde: https://stefanhetzel.files.wordpress.com/2015/02/trilling.jpg
    Ist allerdings typisch 20. Jahrhundert (Bücherwand), heute sollte “der Intellektuelle” evtl. einfach vor seinem Rechner sitzen oder so.

  2. hm gute Frage, ich denke auch alle Möglichkeiten, denn die kann man ja nicht sehen, dennoch hat “man” eine gewisse Vorstellung wie ein Intellektueller auszusehen hat;
    denn wir beurteilen doch meist nach dem optischen eindruck und nicht nach dem bewerteten innhalt des gesagten, zumindest nicht auf den ersten blick;
    so sagte mein sohn neulich von einem menschen der sähe dumm aus; scheint also schon mit schön, und hässlich verbunden zu sein, wie wir jemanden intellektuell einschätze, denn besagte person stach nicht gerade durch schönheit hervor.
    nicht zuletzt deshalb sind wahrscheinlich die nicht hübschesten die wahrscheinlich unterschätztesten menschen dieses planeten….

  3. Es gibt doch schon einige archetypischen Standarderscheinungsbilder zumindest von Vorzeigeintellektuellen. Da könnte man die entsprechenden Moden auch nach Jahrzehnten sortieren.

    1950er: glattrasiert, grauer Anzug, Krawatte, Pfeife, humorlos
    1960er: schwarzer Rollkragepullli, Cordsakko, selbstgedrehte Zigarette, Hornbrille, humorlos
    1970er: Schlaghose, Vollbart, lange Haare, Zigarette, rote Nase, Nickelbrille, DKP-Mitglied, humorlos
    1980er: Zeitungsleser, Anzugsträger, Atomgegner, Schmidtsympathisant, Kohlgegner, SPD-Wähler, humorlos
    1990er: Grünenwähler, Kriegsgegner, humorlos
    2000er: Nichtraucher, Drogengegner, PDS-Wähler, Post-Demokrat, humorlos
    2010er: An der Kleidung nicht zu erkennen, Facebookgegner, handylos, Blogbetreiber, Post-Kapitalist, Nichtwähler, humorlos

  4. @Dennis: Aber mal im Ernst, deine Charakterisierungen sind ja gar nicht schlecht. Dabei fällt auf, dass öffentliche Intellektuelle (public intellectuals) sei einigen Jahrzehnten hauptsächlich als Individuen wahrgenommen werden, die *gegen* etwas sind, und nicht etwa als “Selbstdenker”, die eine (durchdachte, längerfristige) Agenda verfolgen. Dieses “Auf-hohem-Niveau-gegen-etwas-sein” ist es wohl auch, was den Ruf “der” bzw. “der” Intellektuellen so ruiniert hat (was nicht heißt, dass ich mir nur intellektuelle Jasager wünsche, das nun wirklich nicht).

  5. @Bernhard: Rushdie ist – in meiner Wahrnehmung – zuallererst Schriftsteller (ob er ein maßgeblicher Intellektueller ist, kann ich nicht beurteilen). Ein Intellektueller im klassischen Sinn ist aber nicht Künstler, sondern *Gelehrter*, engl. “scholar” (was nicht identisch ist mit “Wissenschaftler”!). Bundesdeutsche Beispiele der Nachkriegzeit wären etwa Theodor W. Adorno, Hannah Arendt oder Arnold Gehlen, europäische Beispiele Umberto Eco (als Begründer der Semiotik, nicht als Autor des “Namens der Rose”) oder Michel Foucault. In den USA wäre neben dem bereits erwähnten Lionel Trilling z. B. noch der Kunstkritiker Clement Greenberg zu nennen. Natürlich gibt es immer wieder Mal Doppelbegabungen Intellektueller / Künstler, Alexander Kluge wäre so einer z. B. (Eco verm. auch), aber Adorno bsp.weise war als Komponist eher schwach, Grass als Intellektueller eher peinlich etc.

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