Buch: „Frauen. Geschichten.“ von Andreas Altmann

FrauenGeschichtenAndreas Altmann ist Reisebuchautor, allerdings auf höchst individuelle Art und Weise. Er wurde 1949 im erzkatholischen Wallfahrtsort Altötting in Bayern geboren, sein Vater war ein etablierter lokaler Devotionalienhändler. Seine Kindheit und Jugend waren geprägt von fundamentalen Katholizismus, väterlicher Unterdrückung und familiärem Missbrauch. Altmann hat diese traumatischen Erfahrungen in der autobiographischen Schrift „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ (Piper, 2011) schonungslos offengelegt und damit für einigen Wirbel gesorgt.

Seine jüngsten Reisebeschreibungen und Lebensgeschichten sind ebenfalls sehr stark autobiographisch geprägt und man muss die persönlichen Hintergründe seiner Erzählperspektive schon kennen um seine Aussagen einordnen zu können. Altmann ist Moralist und Provokateur, schert sich nicht um bürgerliche Konventionen, hat extreme Konsequenzen aus seiner Vergangenheit gezogen. Er ist Individualist, Exzentriker und Philosoph, Humanist und Radikaler, er beobachtet detailliert und feinsinnig und ist gleichzeitig offenherzig und voreingenommen und schließlich gnadenlos in seinen Bewertungen und Urteilen gegenüber anderen Menschen. Krasse Positionen muss man zulassen und akzeptieren können, um ein Buch Altmann genießen zu können und ganz sicher man muss nicht immer seiner Meinung sein. Wenn das gelingt, kann die Lektüre erhellend, bereichernd, unterhaltsam, lehrreich und witzig sein, mitunter gleitet er etwas ins Pathetische ab, oft genug lässt er sich zu selbstgerechten Aussagen hinreißen, aber das gehört bei ihm nun mal zum Gesamtpaket. Sein Schreibstil ist flüssig, einfallsreich und eloquent, nie lahm oder langweilig.

Im aktuellen Buch „Frauen. Geschichten“, das im Herbst 2015 bei Piper erschien, widmet sich Altmann voll und ganz den persönlichen Begegnungen mit Frauen. Im Vorwort schreibt er: „Ich werde nur von Begegnungen berichten, die auf irgendeine Weise entscheidend waren. Oder bei denen etwas Außergewöhnliches passierte. Begegnungen mit Frauen also , die mich prägten. Von denen ich – jenseits der sinnlichen Freuden – etwas begriffen habe. Über sie, über mich, über die Welt.“ Natürlich geht es um persönliche Anziehung, um Erotik und selbstverständlich spielen Körperlichkeit und Sexualität eine tragende Rolle. Aber die Schrift ist nicht plump oder voyeuristisch. Es geht auch um Unsicherheiten, Missverständnisse, Versagensangst, Attraktivität, Innerlichkeit, Vertrauen, Beziehung, Hoffnung, Erwartungen, Verpflichtungen, Gefahren und nicht zuletzt auch Liebe. Für Altmann ist Körperlichkeit allerdings vom Gefühl der Liebe entkoppelt. Wenn man seine Biographie kennt, muss man ihm wohl zugute halten, dass er bedingungslose Liebe selbst anscheinend weder als Kind noch als junger Erwachsener erfahren durfte. Das ist nicht nur traurig, sondern führt auch zu einigen kuriosen Schlussfolgerungen und Effekten. Er ist immer auf der Suche nach dem nächsten großen Thrill, unterliegt einer notorischen Bindungsangst und hat panische Angst davor Vater zu werden, ein Kind in die Welt zu setzen, einem Geschehnis also, das man, wenn man will durchaus auch als absolute Quintessenz der heterosexuellen Vereinigung ansehen könnte (nein, der Rezensent ist kein Verhütungsgegner). Langfristige Bindung, Ehe, Kinder Familie sind Altmann eine grausige Vorstellung, er kann daran nichts Gutes finden, lehnt es rigoros ab. Er begründet es damit, dass er aufgrund seiner Erfahrungen zur Vaterschaft nicht fähig wäre, das mag ja sein, aber Vaterschaft kann natürlich auch etwas sehr erfüllendes und wunderbares sein, ist ein ziemlich normales und verbreiteter Bestandteil männlicher Entwicklung, noch dazu kann Elternschaft ein sehr verbindendes Element zwischen zwei erwachsenen Menschen sein. Altmanns Geschichten, Anekdoten und Erfahrungen mit den vielen, vielen Frauen sind interessant und schön zu lesen, vermutlich sowohl für Frauen wie für Männer. Dass er aber menschliche Innigkeit auf die körperliche Vereinigung von Mann und Frau (in allen denkbaren Varianten) reduziert, wirkt in seinem Alter (er ist bald 70 Jahre alt) dann doch pubertär, unmännlich und ja, leider auch etwas beschränkt. Aber aus dieser Denke scheint Altmann nicht mehr rauszukommen, hat sich darin eingerichtet, vielleicht ist das aber, wenn man seine Herkunft berücksichtigt, im Rahmen seiner Möglichkeiten schon ein wesentlicher und heilender Schritt.

Fazit: „Frauen.Geschichten.“ sind Altmann.Geschichten. Anders, alternativ, antibürgerlich und gegen jede Konvention erzählt er seine persönliche Chronik der Begegnungen mit Frauen. Altmann ist entwaffnend aufrichtig und ehrlich, immer wieder stehen ihm aber auch Egozentrik und Narzissmus im Weg. Schreiben kann er, aber langsam geht ihm der Stoff aus. Ein weiteres Buch auf Grundlage seiner Biographie muss er jedenfalls nicht mehr schreiben, zu dem Thema ist alles erzählt. Nun wäre interessant zu erfahren, was Vaterschaft und Elternschaft in ihm auslösen würden. Aber zu diesem Tripp wird es wohl nicht kommen. Schade für uns Leser.

Das Buch hat 332 Seiten, erscheint bei Piper und kostet 18,00€.

3 Gedanken zu „Buch: „Frauen. Geschichten.“ von Andreas Altmann

    • @Gerhard: Tatsächlich, was für ein kurioser Abschreibefehler, „Sinnleichen“. Danke für den Hinweis, hab’s korrigiert, gibt mir allerdings zu denken. Sind Sinnleichen ehemals richtige Gedanken, die nun nicht mehr gelten und trotzdem als Untote weiterleben? Und: Warum mussten sie abtreten? Sind sie eines natürlichen Todes gestorben oder wurden sie umgebracht?

      • Bei Sinnleichen handelt es sich m.E. um etwas ehemals Sinnhaftes. Mancher Sinn verliert sich eben unter Umständen.
        Wobei sinnliche Freuden eigentlich immer Sinn machen. Sonst könnten wir gleich „zuhause bleiben“.

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