Buch: „Zwei um die Welt“ von Hansen Hoepner & Paul Hoepner

ZweiUmDieWeltNach ihrer Extremfahrradtour Berlin – Shanghai (2012) sind die deutschen Zwillingsbrüder Hansen und Paul Hoepner im Sommer 2015 zu einer neuen, längeren Reise aufgebrochen. Sie sollte – frei nach dem Jules Verne Roman – in 80 Tagen einmal um die Welt von Berlin nach Berlin führen. Selbstgesetzte Bedingung war diesmal ganz ohne Geld auszukommen, alle erforderlichen Finanzmittel für Essen, Unterkunft und Transporte mussten unterwegs durch Tauschgeschäfte organisiert werden, betteln und einseitige Geschenke waren nicht erlaubt, Arbeit allerdings sehr wohl. Für den absoluten Notfall lag eine Kreditkarte bereit, die aber nicht zum Einsatz kam. Die Gebrüder waren wie immer bestens vorbereitet, reisten mit verhältnismäßig leichtem Gepäck, zwei selbstgebauten, multifunktionalen Rollwagen. Schlafsäcke, Zelt, Klamotten, Werkzeuge, etc. hatten sie dabei und medien- und verwertungserfahren wie sie nun einmal sind , spielte natürlich auch die Dokumentation eine wichtige Rolle, deswegen waren auch Kameras, Mikrophone, iPads und iPhones mit dabei, Tagebuch wurde nebenbei auch noch geführt.

Die Reise führte sie aus ihrer Heimatstadt Berlin au die iberische Halbinsel, wo sie sich mühsam einen Transatlantikflug zusammenschnorren mussten, dann einmal quer durch Kananda, Flug von Vancouver nach Japan, von da weiter über Hongkong, Bangkok und Kuala Lumpur nach Neu-Delhi und über Moskau und Warschau zurück nach Berlin. Das Buch dazu erscheint bei Malik und der Text wurde zusammen mit Marie-Sophie Müller verfasst. Die einzelnen Kapitel sind mit den Stammdaten Datum, Tageszahl, Standort und Kontostand überschrieben und sind abwechselnd aus der Perspektive eines der beiden Brüder verfasst. Am Ende einiger Kapitel führt ein Q-Code zu einer Webseite mit weiterführenden Filmmaterialien. In der Mitte des Buches gibt es einige recht stimmungsvolle Farbfotos vom Trip.

Soweit alles in Ordnung, trotzdem kann man als Leser die Reisedokumentation nicht so genießen wie beim ersten Buch/Film „Zwei nach Shanghai“. Alles wirkt von Anfang an konstruierter, kalkulierter, abgebrühter. Es ist weniger ein sympathischer Selbsterfahrungstrip und stattdessen mehr ein gewaltiger, egozentrischer Kraftakt. Die Zwillinge rauschen einmal um die Welt, im Vordergrund steht dabei aber nicht das Erlebnis, sondern das Einhalten der selbstauferlegten Beschränkungen. Es dreht sich fast ausschließlich um Nahrungsbeschaffung, Übernachtungsorte, Transportmittel, dabei sitzt zusätzlich über weite Strecken das Zeitlimit im Nacken. Menschen, Städte und Landschaften werden eingeteilt in die Kategorien „haben uns weiter geholfen“ und „haben uns nicht weitergeholfen“. Besonders absurd wird diese Vorgehensweise in Asien. Einige Male (z.B. S. 196, 210) fällt den beiden selbst auf wie seltsam es wirkt, wenn zwei mit teuren Kameras und Smartphones beladene, weiße, junge und gesunde Westeuropäer den armen einheimischen Arbeitern und Familienvätern irgendeinen Kram verkaufen wollen um die Weiterreise fremd zu finanzieren, während die eigene Kreditkarte im wattierten Polstertäschchen ruht. Hier kommt der Trip an seine moralischen Grenzen, man hat kurz das Gefühl, dass das auch den beiden Hoepners ganz kurz dämmert, aber egal, es muss weitergehen (von einem alten Inder bekommen sie dbzl. unerwartet Absolution, siehe S. 245). Sie schaffen es dank der Mithilfe vieler, deutlich weniger Privilegierter mit ein paar Umwegen, körperlichen Strapazen und zeitlichen Verzögerungen zurück nach Berlin.

Als Leser fragt man sich warum die beiden sich so etwas auferlegen, anscheinend geht es nur darum etwas Ungewöhnliches, Unwahrscheinliches zu schaffen, koste es was es wolle. Sie reisen mit billigsten Mitteln, ernähren sich überwiegend von schlechtem, billigem Essen, lernen die Reiseregionen wegen des Zeitdrucks kaum kennen, weil sie ständig auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten und Unterkunft sind, sie gehen sich gegenseitig auf die Nerven, streiten sich, schreien sich an, wollen endlich wieder daheim bei ihren Freundinnen sein, magern ab, werden lebensbedrohlich krank. Alles nur um sagen zu können, wir haben es geschafft? Alles nur um noch ein Buch rauszubringen und nochmal auf Lesereise gehen zu können? Das Buch bleibt dazu eine Antwort schuldig. Man kann als Leser nur hoffen, dass die Zwillinge bei der Niederschrift, spätestens während der Lesereise bemerken, dass sie diesmal den Bogen überspannt haben.

Eine kleinformatige Weltkarte mit der Reiseroute ist doppelt, im Front- und Rückdeckel abgedruckt. „Zwei um die Welt“ erscheint bei Malik, hat 304 Seiten und kostet gebunden 19,99 Euro.

3 Gedanken zu „Buch: „Zwei um die Welt“ von Hansen Hoepner & Paul Hoepner

  1. Ohne „Schnorren“ kann es ja nicht abgehen. Du schreibst ja auch:
    „Sie schaffen es dank der Mithilfe vieler, deutlich weniger Privilegierter …zurück nach Berlin.“
    Von den Ärmsten der Armen nehmen: So kamen mir jedenfalls auf einer Reise in Mexiko einige Szenen vor, die ich vor gut 20 Jahre erlebte. Da sah ich Leute, die aus unserem Bus eine Frau mit einem schweren Bündel auf dem Rücken eiligst abfotografierten. Fotografiegewitter. Die Frau konnte ja nicht davonrennen, war zufällig dabei, eine Strasse zu überqueren.
    Eine andere Szene: Kinder schützten sich mit Händen vor dem Gesicht, trotzdem wurden sie abgelichtet.
    Ich habe deswegen auf dieser Reise eigentlich keine Fotos von Menschen gemacht, was mir schwer fiel angesichts der farbenfrohen, jeweils unterschiedlichen Kleidung in den Regionen.
    Schlimm fand ich auch das Handeln. Ich kaufte damals eine sehr auffällige Weste im Batchwork-Look, für schlappe 12 DM. Jemand hatte diese aber auf 8 DM heruntergehandelt und war stolz darauf.
    Auch heute ist es so, daß ich, wenn es Handwerkskunst geht, nicht handeln will. Ich könnte es wohl, will es aber nicht. Ich sehe den Aufwand, kenne ihn auch und will ihn honorieren.

    • @Gerhard: Ja, die Hoepners führen das nicht weiter aus, aber mit etwas Phantasie kann man sich es ungefähr vorstellen. Deine Eindrücke aus Mexiko lösen bei mir denselben Fremdscham aus. Der Trip hat dadurch immer wieder unfreiwillig peinliche und gar nicht lustige Momente.

  2. Schade, daß die Zwillinge so ein Schnorrerbuch (hab es nicht gelesen) nachlegen.
    Wer die beeindruckende Doku von ihrer Radreise nach Peking gesehen hat, dürfte von diesem Wandel der beiden enttäuscht sein.

Schreiben Sie einen Kommentar zu Dennis Schütze Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert