Noten: „Jimmy! Der Gitarren-Chef“ von Rue Protzer

„Jimmy! Der Gitarren-Chef“ ist eine zweibändige E-Gitarrenschule für Kinder ab 6 Jahren. Verfasst wurde sie von dem Gitarristen und Instrumentalpädagogen Rue Protzer, der klassische Gitarre studierte und sich anschließend umfassend der Jazzgitarre zuwandte. In den zurückliegenden Jahren erschienen drei Instrumentalalben mit seiner Band Rue de Paris (Achtung Wortspiel!) und zuletzt ein Soloalbum unter eigenem Namen. „Jimmy!“ ist Protzers erste instrumentalpädagogische Veröffentlichung.

Die E-Gitarre ist ein verhältnismäßig junges Instrument und anders als bei den meisten anderen Instrumenten war das Erlernen ursprünglich extrem autodidaktisch und informell angelegt. Nicht umsonst wird das Instrument deswegen auch gerne in der pubertären Lebensphase aufgegriffen und – bewusst oder unbewusst – als musikalischer Gegenentwurf zu etablierten, klassischen Herangehensweisen (Ensemble, Chor, Orchester etc.) verstanden. Oft sammeln sich werdende E-Gitarristen irgendwo ein paar Akkorde zusammen, klauen sich hier und da ein paar Licks, spielen in Garagenbands, schauen anderen Gitarristen auf die Finger, hören sich Passagen von Aufnahmen ab, fummeln sich durch irgendwelche TABs, schauen Youtube-Videos oder wurschteln sich sonstwie durch. Die Herangehensweise ist quasi selbstgestrickt und die Entwicklung hängt stark von Zufälligkeiten ab. Allerdings hat sich das Instrument in den vergangenen Jahrzehnten schön etabliert: Nach den virtuosen Glanzzeiten der 1980er kann man heutzutage längst Jazz- oder auch Rockgitarre an Hochschulen und Akademien in der gesamten westlichen Welt studieren und die Absolventen dieser Studiengänge sind im Anschluss auch pädagogisch tätig gewesen. So haben sich in den letzen Jahren, auch durch den Einfluss aus den USA, einige methodische Ansätze herauskristallisiert, die meist streng in musikalische Stilistiken unterteilt sind. Nächster Schritt dieser instrumentalpädagogischen Entwicklung ist nun bereits die Kleinen und Kleinsten mit einer geeigneten Methode möglichst früh und systematisch an das Instrument heranzuführen.

Die E-Gitarrenschule „Jimmy!“ in Heftform wendet sich direkt an junge Einsteiger ab 6 Jahren und hat in diesem Segment wenig Konkurrenz. Angefangen wird tatsächlich bei Null, etwas musikalische Vorerfahrung durch Früherziehung, Kinderchor oder Blockflöte wird vermutlich nicht schaden. Vermittelt wird der Inhalt durch traditionelle Notenschrift und ohne die Zuhilfenahme der doch recht anschaulichen und traditionsreichen Tabulaturschreibweise. Das ist gerade im elementaren E-Gitarrenunterricht ungewöhnlich und verlangt von der jungen Schülerschaft, die zum Teil vielleicht gerade mal ihre ersten Buchstaben in der Schule gelernt hat, bereits ein enormes Abstraktionsvermögen. Die Schule beginnt mit einfachen kurzen Stückchen mit Leersaiten und optionaler Begleitung des Lehrers, die schwer zu lesen sind und nicht sehr aufregend klingen. Da braucht es schon viel Phantasie um Musik darin zu hören, aber das ist in diesem frühen Stadium auch bei anderen Instrumenten so. Aufgelockert wird das Heft durch die wirklich gelungenen und passenden Illustrationen der titelgebenden Figur Jimmy (gezeichnet von Selina Peterson), die auf vielen Heftseiten auftaucht und sich immer wieder direkt mit Tipps und Tricks an die Kinder wendet. Eingeflochten werden elementares Musikwissen zu Notation, Rhythmik, Fingersatz, Lagenspiel, Anschlag, auch hier allerdings meist in schriftlicher Form. Es fällt sehr schwer vorzustellen, dass ein Kind der unteren Grundschulklassen sich diese Texte vornimmt. Daher bleibt die Frage, an wen sich diese Sätze wohl richten, unbeantwortet.

Hilfreich sind Playbacks und Videos. Die Playbacks liegen dem Heft nicht auf einer Audio-CD bei, sondern sind als kostenloser Stream oder Download auf der Webseite gitarren-chef.de zu finden. Einige der heftabschließenden Tracks wurden von Kindern mit opulenten Backingtrack eingespielt und stehen als Video auf YouTube zur Verfügung. Allerdings sind die Kinder da schon etwas älter, haben die Grundschule längst hinter sich und die Videos selbst werden von Vor- und Abspann eingerahmt, die schon beim zweiten Abspielen kolossal nerven und den Clip wie ein Werbevideo wirken lassen.

Fazit: „Jimmy!“, die deutschsprachige E-Gitarrenschule für Kinder ist ein ambitionierter, instrumentalpädagodischer Schritt. Inhalt und Vorgehensweise sind klar strukturiert, gehen in kleinen, sinnvollen Schritten voran, haben eine eindeutige Richtung, ziehen sich aber auch etwas in die Länge und verlangen den jungen Rockern einiges an Demut und Geduld ab. Die Methode unterscheidet sich fundamental von der für die E-Gitarre eigentlich so typischen selbständigen, intuitiven und autodidaktischen Herangehensweise und könnte gerade einige der traditionell rebellischen und individuellen Jugendlichen und deren Lehrer ordentlich herausfordern. Daran ändern leider auch die neuen Medien- und Präsentationsformen nichts. Die Herangehensweise wirkt kein bisschen locker und easy, intuitiv und informell, wie es die Präsentationsform suggerieren will, sondern extrem reglementiert, präskriptiv und unfrei. Das Heft ist ideal für Menschen die gerne nach minutiös vorgegebenen Strukturen und Arbeitsweisen lernen. Also recht wenig Rock’n’Roll, dafür viel städtische Musikschule.

Das Heft hat 75 Seiten, erscheint bei DUX und kostet 16,80 €.

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