Lang geschlafen, Fruehstueck, diesmal ausser Haus, Blogartikel schreiben, das war mein gemuetlicher Vormittag, danach aber wirklich los.
Langsam finde ich mich zurecht. Mit einem kleinen Umweg durch das Designviertel zur Sibelius Academy im Music Center, dort ab 13.00 eine kleine Blaesermatinee mit Teilnehmern der Brass Extravaganza, studentisch aber ordentlich, gespielt wurden Trompetenkonzerte von Haydn, Boehme & Jevtic. letzterer mit der Komposition Que le jour est beau, passt gut. Danach mehr als ganz zurueck Richtung Hostel, ins Design Museum, muss man wohl gesehen haben, sie sind hier ganz stolz auf Design und Architektur, nicht zu unrecht, ein stimmiges Formgefuehl muss man den Finnen schon lassen. Kaum haesslicher Haeusser zu finden, alles Art Decor oder Jugendstil. Man hat fast den Eindruck, dass zumindest die ganze Innenstadt in ein bis zwei Jahrzehnten gebaut worden sein muss, so sehr passt das alles zusammen. Dafuer quasi nichts aus der Zeit davor, angeblich hat es mal ein grosses Feuer gegeben haben, das muss ziemlich verherrend gewesen sein. Jugendstil war stilistisch nun vielleicht nicht die schlechteste Zeit um den Wiederaufbau zu vollziehen, haette schlimmer kommen koennen, siehe deutsche Nachkriegszeit.
Mit dem Museum ist man schnell durch, schoen anzusehen, aber uebersichtlich, danach zurueck zum Music Center, Vorlesung! Diesmal kleine Zuhoererschaft, fast soviel Sprecher wie Hoerer. Es ging um die Frage, ob es einen typisch finnischen Blechblaesersound im Kontext Orchester gibt, mehr Diskussion, als Vorlesung. Beteiligte Akteure waren Pasi Pirinen (tr), Jozsef Hars (hrn), Javier Cantos Sanchez (tr), Tomas Gricius (tr) und Darren Acosta (trom). Anscheinend gab es bis vor wenigen Jahren noch so etwas wie landestypische und regionale orchestrale Klangsignaturen, die besseren Orchester sogar einen eigenen Sound, dem eifrig nachgeeifert wurde. Aufgrund der Globalisierung und der internationalen Besetzung von Orchestern weltweit wird das verstaendlicherweise immer mehr verwaessert. Das technische Spieniveau schiesst in den Himmel, die regionalen Eigenarten gehen dabei leider verloren. Mir schoss dabei immer wieder der Vergleich mit den grossen Fussballmannschaften in den Kopf, wo laengst internationale Soeldner den Dienst verrichten, allerdings mit wenig regionaler Verbundenheit, manchmal sprechen sie nicht mal die Landessprache.
Richtig interessant und unterhaltsam waren die Beitraege des urspruenglich ungarischen Hornisten Jozsef Hars, der direkt aus dem Naehkaestchen plauderte und von den Beteiligte wohl schon am weitesten rumgekommen war und entsprechend viel Erfahrungen sammeln konnte. Ungarn, Frankfurt am Main, Innsbruck und schliesslich Helsinki sind da nur ein paar herausragende Stationen. Er konnte sehr wohl noch regionalen Besonderheiten feststellen, die sich in Wahl ders Instrumentariums, Spielweise, Repertoirevorlieben etc. niederschlagen. Frei von der Leber weg erzaehlte er auch, dass nur herausragende Dirigenten diese eingefahrenen Orchesterroutinen umstellen koennen, das liegt natuerlich auch daran, dass es pasieren kann, dass bei jeder Probe andere Orchestermusiker dasitzen und man sich deswegen gerne auf etablierte Routinen verleasst. Ausserdem lassen sich Orchestermusiker anscheinend nicht gerne in ihrer Spielweise reinreden, schon gar nicht von irgendwelchen jungen Gastdirigenten, die werden dann gerne mal schoen eingebremst, wenn sie zu viel Flexibilitaet verlangen. Ganz schön link, aber auch eine unaufwändige Methode um regionale Besonderheiten zu erhalten. Grosses Thema war dann verstaendlicherweise wie sich Orchester zusammensetzen und insbesondere in Hinblick auf die Studenten in der Zuhoererschaft, ob und wie man sich als Musiker bei Auditions auf regioanle Traditionen einstellt. Dazu gab es interessante Angaben. Alle waren sich einig, dass sie bei sog, Blindaudition weder Kollegen noch eigene Studenten erkennen wuerden, weil die vermeintliche Qualitaet ja eben auch von Stimmung, Raumklang, Repertoire etc. abhaengt. Deswegen der Rat an alle Studenten, viele Audition spielen um Erfahrung zu sammeln (und die Chancen zu erhoehen) und moeglichst viel stilistische und interpretatorische Bandbreite zeigen. Lustig abschliessend noch die Beschreibung von Hars ueber die eisenharte Vorbereitung fuer Auditions an der Musikhochschule Frankfurt. Er beschreibte sie als Biggest humiliation in menkind. Schlimmer koenne es danach nicht mehr kommen.Diesmal war ich schlauer, fragte nach der Vorlesung gleich nach Tickets fuer das Konzert am Abend. An der Kasse sass dieselbe Dame wie am Abend zuvor, sie empfahl mir dringend in das Konzert in der sog. Rock Church zu gehen und gab mir wieder ungefragt den Ticketpreis fuer Studenten. Sehe ich noch so jung aus, vemutlich nicht, sie erinnerte sich an gestern und war einfach nett. Kurz zurueck zum Hostel, hatte mir ein frisches, dunkles Hemd gekauft, dann fast wieder denselben Weg zurueck zur Felsenkirche hinter dem HAM (Helsinki Art Museum). Von aussen ungewoehnlich, von innen wow. Eine in den rohen Felsen gesprengte Rundkirche, von den Seiten her lichtdurchflutet, oben ein kreisfoermiges Dach aus geflochtenem Kupferband. Gegeben wurde Saga op. 9 von Jean Sibelius, Konzert fuer Posaune von Launy Grondahl und nach der Pause Konzert fuer Horn von Mozart und zum Abschluss noch Sinfonie Nr. 7 von Sibelius. Studentisches Orchester, voll auf den Punkt, grosse Dynamik, wunderbare leise Stellen, kompetente Solisten, alles dabei. In der zweiten Haelfte schien mir die untergehende Sonne direkt ins Gesicht. Was fuer ein musikalischer Abschluss. Dann Konzertende, draussen noch hell, ich fuehlte mich unfertig, nicht abgeschlossen, wollte noch mit jemandem reden, meine gute Stimmung teilen, zusammen essen, irgendwas austauschen, haette auch ruhig jemand Fremdes sein koennen. Stattdessen ging ich zum dritten Mal alleine den Weg nachhause, checkte noch meine Mails und legte mich fuer meine letzte Nacht in dieser Stadt alleine ins Bett, neben meine schnarchenden Zimmergenossen. Gute Nacht, Helsinki, hallo Tallinn!
Ganz schönes Pensum, das du da bewältigst. Jetzt bin doch mal neugierig: Wie schmeckt denn nun typische finnische Küche. Ist das eher fischig oder fleischig oder gemüsig? Ich war noch nie in dieser Gegend und die im Fernsehen können einem ja viel erzählen. Also würd mich so nebenbei mal interessieren. Grüße
@Sandra: Gute Frage, danke. Lebensmittelversorgung und Ernährung in Helsinki ist noch mal ein spezielles Thema und wäre ein eigenen Artikel wert. Erstmal ist alles sehr teuer: Becher Kaffee ab 5 Euro, auch mal deutlich drüber, Bratwurst oder Döner um die 10 Euro. Richtiges Essen liegt dann nochmal drüber, deswegen bin ich gar nicht essen gegangen. Kommt dazu, dass es auch bei den Kiosken nur abgepackten Kram gibt und einen Bäcker, bzw. was man halt bei uns darunter versteht, habe ich in drei Tagen keinen einzigen gesehen. Höhepunkt waren da irgendwelche angeblich leckeren Zimtsschnecken in Folie, nein danke.
Viellleicht gibt es finnische Küche, aber ich vermute es ist wie mit der englischen und schwedischen. Wenn da mal ein normaler Salat mit frischen Zutaten auf dem Tisch steht, flippen schon alle aus von wegen Kulinarik. Von mir aus können die ihre sauer eingelegten Ostseemeeresfrüchte aus der schleimigen Tiefsee und ihr steinhartes Roggenknäckebrot selber essen. Ich habe mich notgedrungen von Erdnüssen und Orangensaft ernährt, hin und wieder einen Burger. Wegen dem Essen würde ich nicht hinfahren, vielleicht ist es eine andere Situation, wenn man vorher zufällig im Lotto gewonnen hat.
Im Hostel in Tallinn habe ich mir mit Zutaten von Tante Emma um die Ecke erstmal Pasta gekocht und zum ersten Mal seit Tagen was vernünftiges gegessen, zusammen mit Francesco aus Italien und Julia aus Deutschland.