Avishai Cohen wurde in Tel Aviv geboren und wuchs dort in einem musikalischen, familiären Umfeld auf. Seine größeren Geschwister Anat Cohen und Yuval Cohen sind etablierte Saxophonisten. Als Teenager tourte er mit dem Israeli Philharmonic Orchestra, später studierte er am Berklee College of Music in Boston, seitdem lebt er in New York.
Sein Debut nannte er „The Trumpet Player“ (2003) um nicht mit dem namensgleichen Kontrabassisten (ebenfalls aus Israel) verwechselt zu werden. Seither hat er fast jedes Jahr unter eigenem Namen und mit verschiedenen Formationen Alben veröffentlicht und international Konzerttouren absolviert. 2016 erschien „Into the Silence“ bei dem renommierten, deutschen Label ECM. Nun wurde, nur ein Jahr später, ebendort der Nachfolger „Cross my Palm with Silver“ (2017) veröffentlicht.
Nach intensiven Konzerttourneen in der ersten Jahreshälfte hat sich Cohen im September 2016 mit den Musikern Yonathan Avishai (piano), Barak Mori (kbass) und Nasheet Waits (drums) in ein Studio in Südfrankreich zurückgezogen und dort neue Kompositionen aufgenommen. An den Reglern saß kein geringerer als Produzent und Labelchef Manfred Eicher selbst. Auf dem knapp 40-minütigen Album enthalten sind fünf Tracks, die sich zwischen 4 und 12 Minuten erstrecken. Linernotes und Tracktitel sollen Bezüge herstellen zum politischen Klima im Mittleren Osten: „Like Mingus and Roach before him, Cohen uses his song titels to point to injustices at home and abroad as a small gesture of dissent. Meanwhile the beauty of the music makes its own argument.“
Naja, die letzte Aussage ist schon etwas weit hergeholt. In Klang gesetzte Ungerechtigkeit, Gewaltexzesse und kriegerische Auseinandersetzungen, wie sie im Mittleren Osten zur Tagesordnung gehören, sind in den Aufnahmen nun wirklich nicht zu erkennen. Ganz im Gegenteil: Das Album ist wohlklingend, einschmeichelnd, ungefährlich. Keine Spur von israelischen oder gar orientalischen Kultur- oder Musikeinflüssen. Alles astreiner und bestens austarierter, westlich-akademischer Selbstverwirklichungsjazz. Kompositionen und Produktion entsprechen ohne jede Abweichung der etablierten und abgeschliffenen Schönklangästhetik der skandinavisch-mitteleuropäischen Improvisationstradition, die Manfred Eicher im Verbund mit seinem internationalem Musikerfuhrpark über Jahrzehnte entwickelt hat. Man bekommt also genau das, was man erwarten darf, wenn man den Labelnamen ECM liest. Mit dem revolutionären Feuer des amerikanischen Modern Jazz oder gar irgendeiner gesellschaftspolitischer Aussage hat das nun wirklich beim besten Willen nichts zu tun. Da sollten Cohen und seine Liner-Notes-Texter mal etwas auf dem Boden der Tatsachen bleiben und sich nicht in unangemessene Selbstinterpretationen versteigen. Man kann keine weltpolitisch relevante Musik bei einer Flasche Rotwein in einem abgeschiedenen Studio in der Provence oder wo auch immer aufnehmen. Da hätten sie schon ein wenig mehr ins Risiko gehen müssen. Hier wurde stattdessen voll und ganz auf Nummer Sicher gesetzt.
So wie es ist, ist das Album ein folgerichtiger, zweiter Teil des Vorgängeralbums „Into the Silence“, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht hätten Cohen und Eicher sich etwas mehr Zeit einräumen müssen, um substantielleres und anregenderes musikalisches Material zu erschaffen. Man kann mit „Cross my palm with silver“ wunderbar einen kulinarischen Abend mit Freunden umrahmen oder sich zum Sonnenuntergang mit einer guten Zigarre auf die Veranda setzen, viel mehr geht aber nicht. Dazu ist die Musik zu berechenbar, zu leicht vorauszusagen. Es ist der Soundtrack zu Ereignissen, die absehbar sind und bei denen man keine bösen Überraschungen erleben will. Die Musiker beherrschen ihre Instrumente, bedienen das Genre auf hohem Niveau, Eicher weiß wie man das aufnimmt und mixtechnisch in Szene setzt, nur: Das ist Musik für alte Herren, die ihre Ruhe haben wollen. Revolution klingt anders.
Hier das Teaservideo zum „Album“. Avishai Cohen spielt mit seinem Quartett im November noch einige Termine in Deutschland: Hamburg 6. Nov, Kassel 7. Nov, Rheinfeld (Baden) 8. Nov, Mannheim 9. Nov, Dortmund 12. Nov.
Nun ja so ab 50 ist mir schon manchmal nach zigarre und ruhe beim sundowner, nach genug Revolte mit dem nachwuchs; scheint mir die passende musik dazu sein, auch wenn punk not dead ist hab ich dann wirklich kein bock mehr auch revoluzzerei
@Bernhard: Meine Kritik bezieht sich dbzgl. auf die Ankündigung in den liner notes, von wegen Minus, Roach und „gesture of dissent“. bei der Ankündigung erwartet man von einem jungen, nippen Jazztrompeter aus Israel etwas anderes als harmlosen, esoterischen Wellnessjazz. Warum keine musikalischen Referenzen an die Heimat und/oder den Nahen und Mittlere Osten. Muss ja nicht gleich ein palästinensischer Mitmusiker sein, obwohl das natürlich eine echtes Statement gewesen wäre.
Muss auch nicht jeder Musiker gesellschaftskritisch oder politisch aktiv sein, dann aber bitte nicht breitbeinig rausposaunen, wenn keine Substanz folgt.
Darauf jetzt erstmal ’n Glas guten Rotwein.