Kein Sprint, ein Marathon (KW29-32)

Anfang Juli begann mit Recherchearbeiten und Pressekonferenz zur Fahrradtour Rundherum Main-Spessart und einem Videodreh, bei dem Material für gleich drei Videos abgedreht wurde (bei zwei dieser Videos spiele ich alle Instrumente). Ab 7. Jul folgte die eigentliche Tour mit täglichen Blogberichten. Eigentlich ein wunderbares Projekt, aber auf Dauer war die körperliche und geistige Dauerbelastung auch kräftezehrend. Das merkte ich allerdings erst ab dem vorletzten Tag und in der Zeit direkt nach meiner Rückkehr.

Daheim waren in den zehn Tagen meiner Abwesenheit einige Dinge liegen geblieben. Es ging also fast nahtlos weiter: Nacharbeiten an der Tourberichterstattung, Zahnarzttermine, Unterricht, Konzerte, die Arbeiten für die Instandsetzungen des Wasserschaden in unserer Wohnung vom Mai gingen in die letzte Runde, fast täglich kamen Handwerker und verrichteten ihre Arbeiten. Das Video wurde in mehreren Phasen geschnitten und veröffentlicht, eigener Geburtstag mit Überraschungsfete, Veröffentlichung des Albums „Mitmachlieder aus dem Hochhaus Nummer“ inkl. Poster, Songbook, Webseite, dazu ein herrlicher Abschlussgrillabend mit fast allen Beteiligten, die an diesem Projekt mitgewirkt haben (Danke!), eine neue Songproduktion von Simon-Philipp Vogel (ich spiele Piano, Lap Steel, E-Bass), Zahnschmerzen, Arztbesuche, Flur streichen, Session in Winterhausen, anderen beim Umzug helfen, Christof hat noch ein paar Fragen zum Onlinerelease seines Albums, Schreiner holt die Türen ab, Details für den Austausch der Fenster müssen entschieden werden, Zelt und Isomatten kaufen, Mietwagen für den Urlaub buchen, noch mal Zahnarzt, Blutprobe beim anderen Arzt okay, CDs verschicken, Anfragen beantworten, Musiker sagen für bevorstehende Konzerte ab, Ersatz organisieren, Grillfete, Auto hat TÜV, Weinfest, Anzughose zerrissen, neue besorgen, TÜV neu, aber komisches Geräusch im Motorraum, noch mal Zahnarzt, Kinder haben jetzt Ferien, Freizeit will organisiert sein. Je mehr ich erledige, desto mehr kommt wieder dazu. Habe keine Zeit und keine Energie mehr mich darüber aufzuregen. Ich werde immer müder, falle jeden Abend wie ein Toter ins Bett. Die abonnierte SZ stapelt sich neben meinem Bett, ich komme nicht mehr hinterher, ach ja, den Blog gibt’s ja auch noch.

Am Samstag, einen Tag vor meiner Abfahrt in den langersehnten Urlaub, stelle ich fest, dass das Geräusch im Motorraum meines alten, roten Saabs lauter wird. Außerdem verliere ich seit Tagen Kühlwasser. Weil ich wenig und wenn, dann nur kurze Strecken fahre, ist das schwer im Auge zu behalten, aber jetzt bin ich mir sicher. Ich lasse einen freischaffenden Experten einen Blick drauf werfen, er kann es auf Lichtmaschine oder Wasserpumpe eingrenzen, gebrauchte Teile hat er, aber wer baut mir das ein, es ist 14.00 am Samstagnachmittag als ich mit der Diagnose da stehe. Wir gehen die Optionen durch und ich tätige ein paar hektische Anrufe, überall AB, war klar, bei dem Wetter wäre ich auch unterwegs, wenn ich könnte. Ab dem späten Nachmittag bekomme ich einige Absagen, dann mache ich mich fertig für ein Engagement, ich werde abgeholt, also kein Problem, ich lasse die Sache liegen, kann jetzt nichts mehr machen. Um 18.00 fahren wir ab, das Engagement dauert lange, wird sogar noch verlängert, um 2.00 nachts sind wird fertig, um 3.00 daheim, ich verräume noch eine paar Dinge, kann mich noch nicht hinlegen, gegen 4.00 schlafe ich ein. Um 7.30 am Sonntagmorgen klingelt das Telefon, meine Frau geht schnell ran, ich wache trotzdem auf, bin hellwach, am Apparat ist die letzte verbliebene Option: „Hallo, hier Doktor Magnus Kuhn, ist Herr Doktor Schütze zu sprechen?“ Meine Frau glaubt, ich flippe jetzt nach nur 3h Schlaf vollkommen aus, aber weit gefehlt, selten habe ich mich über einen Anruf und das plötzliche Erwachen aus dem Tiefschlaf so gefreut wie heute.

Dr. Magnus Kuhn ist ein Würzburger Ingenieur und Kunstmechaniker und betreibt ein Atelier für Kunst und Konstruktion. Er war bereit die Teile in mein Auto zu bauen. Ich hatte Glück, dass mein Auto so alt ist (93’), moderne Autos mag er nicht so gerne. Kurzes, aber freundliches Gespräch, wir vereinbarten 9.00, also Zeit genug für einen Kaffee und Verabschiedung von der Familie, die fuhren schon mal mit dem Zug los in den Urlaub in den Süden. Ich traf Kuhn wie vereinbart bei ihm daheim, kurze Sondierung der Lage, dann Weiterfahrt zum Experten um Spezialwerkzeug abzuholen, von da aus weiter zur Halle, vor der die Haube geöffnet und losgeschraubt wurde. Dr. Kuhn schraubt, Dr. Schütze reicht das Werkzeug. Wir haben beide ölverschmierte Hände bis zum Ellenbogen und unterhalten uns dabei über die Mechanik des Weltenlaufs. Wasserpumpe ist schwer zu erreichen, aber nach 2h ist die Arbeit getan, wow. Schon beim Anlassen höre ich aber das altbekannte kratzende und quietschende Geräusch. Wasserpumpe war definitiv defekt und für den Kühlwasserverlust verantwortlich. Das Geräusch kommt nun aber sicher von der Lichtmaschine. Wir vereinbaren eine kurze Mittagspause, in der Dr. Kuhn Mittag isst und ich nach hause fahre und den Kofferraum belade um danach abfahren zu können. Von Heidingsfeld in die Äußere Pleich schaffe ich es gerade noch so, das Quietschen wird lauter, es riecht nach Gummi, die Fußgänger schauen mir nach, wenn ich vorbeigefahren komme. Zuhause richte ich die Dinge, Abwasch, Blumen gießen, Fenster zu, sicher gehen, dass der Herd aus ist, dann belade ich das Auto und will zurück zur Halle fahren. Das Quietschen ist jetzt wahnsinnig laut, ich schaffe es bis zum Brückenkopf am Maritim, da geht der Motor einfach aus und nicht mehr an. Mit der Kraft der Verzweiflung schiebe ich den Saab von der Ampel, quer über die Straße von der Fahrbahn und könnte heulen vor Wut, doch nicht bitte jetzt auf den allerletzten Kilometern verrecken! Ich orgel noch ein paar Mal, da springt er wieder an, ich gleich los. Ich habe Angst, dass er wieder stehen bleibt und fahre einfach immer weiter, Ampel grün, gelb, rot, mir egal, ich muss nach Heidingsfeld zum Meistermechaniker kommen. Der Geruch von schmorendem Gummi wird immer massiver, Motor läuft heiß, aber die Kiste fährt, irgendwann bin ich da, rolle auf den Hof, Magnus sitzt im Klappstuhl, trinkt ein Bier und merkt schon, dass irgendwas nicht stimmt. Ich steige aus, erkläre die Lage, habe Angst die Haube zu öffnen, aus gutem Grund. Lichtmaschine fest gefressen, Keilriemen lief ins Leere, lief heiß, schmorte durch, als er fetzte, riss auch gleich noch der danebenliegende Riemen zur Wasser- und Servopumpe, großartig, vier Riemen am Arsch, ich war sicher, das war’s jetzt.

Magnus lieh mir sein Auto, auf zum Experten, vielleicht hatten wir ja Glück und siehe da: Der Experte war zuhause und hatte alle erforderlichen Riemen in der Garage liegen. Damit zurück zu Magnus, der hatte bereits die Klimaanlage ausgebaut und arbeitete sich weiter vor nach unten. Alles ganz eng da unten, es war eine knifflige Angelegenheit, ein anderer Schrauber meinte: „wie beim Frauenarzt“. Es dauert Stunden, fest sitzende Schrauben, ausgeleierte Gewinde, fehlendes Werkzeug, you name it. Magnus verrichtete die meiste Arbeit, ich half hin und wieder aus, wenn die Motivation nachließ, am Ende unterstützte uns noch der Experte und mit vereinten Kräften haben wir es geschafft. Danach gemeinsamer Döner & Bier, das tat gut. Danke an den tatkräftigen Magnus und den geduldigen Experten. Wir haben das Problem wie Männer gelöst, das ist German Engineering.

Ich war dreckig und müde und glücklich. An eine Abfahrt war heute nicht mehr zu denken, es war spät geworden. Ich legte mich schlafen und war sofort weg. Am nächsten Tag ging es endlich los.

3 Gedanken zu „Kein Sprint, ein Marathon (KW29-32)

  1. Heureka – jetzt predige ich mal, was du mir immer sagst. Nicht zu viel auf einmal, pass auf dich auf!

    Schön zu hören das alles gut ist. Nachdem so lange kein Berich kam und „unheilsschwanger“ „der „Doktor“ anrief, hat mir kurz der Atem gestockt. Waren die Blutwerte doch nicht in Ordnung…

    Erhol dich und fahr mal runter, wenn das irgendwie möglich ist. Ich weiß wovon ich rede 😉

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