Teil 1: Tag 1-7 (2:37), Songwriting & Proben in Twickenham Studios
Teil 2: Tag 8-16 (2:53), Songwriting & Proben in Apple Studios
Teil 3: Tag 17-22 (2:18), Proben & Roof Top Konzert
Die ersten Tage im neuen Jahr habe ich dafür genutzt die dreiteilige, insgesamt fast 8h lange Dokumentation „The Beatles: Get Back“ auf Disney+ anzusehen. Der neuseeländische Filmemacher Peter Jackson hat dafür 60h historisches Filmmaterial und 120h Audiomitschnitte aus dem Januar 1969 gesichtet, durchgehört, massiv gekürzt und zu einem einzigartigen, musikgeschichtlichen Dokument zusammengestellt. Geplant waren damals die Vorbereitungen zu einem neuen Album der Beatles und die Präsentation vor einem Live-Publikum in einer TV-Show mit einer Art Making-Off vorzubereiten. Dafür trafen sich die Beatles in den Twickenham Studios, wo in einer riesigen, leeren und kühlen Halle alles vorbereitet werden sollte. Die Band startet bzgl. Songs und Aufnahmetechnik quasi bei Null, ein konkreter Plan lag offensichtlich nicht vor, er werden Instrumente, Mikrophone, Verstärker, Bandmaschinen etc. aufgebaut, man trifft sich fast täglich, sie begrüßen sich, spielen alte eigene Songs und alte Repertoirestücke, die zurückreichen bis zu Hamburger Zeiten, die Beatles probieren aus, driften ab in Freie Improvisationen, stellen sich gegenseitig Fragmente neuer Songs vor, sie wechseln Instrumente durch, probieren neuartige Instrumente, es wird gefrühstückt, Kaffee getrunken, Wein getrunken, sehr viel geraucht und noch sehr viel mehr geredet, gealbert, diskutiert und gestritten.
50 Jahre später kann man diese internen Geschehnisse gemütlich auf dem Sofa zuhause mitansehen. Über lange Strecken passiert relativ wenig. Die Beatles tasten sich voran, stets mit auffällig viel Respekt für die Kollegen und deren Standpunkte und Ideen, und immer wieder, verteilt über etliche Stunden Film darf man dann die Genese von klassischen Songs wie „Get Back“, „Something“ oder gar „Let it be“ miterleben. Meist gehen die einzelnen Songs ja auf das Konto eines Songschreibers, die Akkordfolgen und Melodien sind schon vorhanden, es fehlt noch Text, Form, Instrumentierung und Arrangement. Während der Songschreiber Platzhaltertexte zum Song brabbelt, probieren die Kollegen schon ihre Parts dazu, kommentieren was ihnen gut gefällt, machen Vorschläge wie es textlich weitergehen könnte, halten sich aber auch oft genug zurück und lassen den Prozess einfach vor sich hinlaufen.
Immer wieder gibt es Veränderungen auf die die Gruppe gelassen und unaufgeregt reagiert. Gleich kurz nach dem Beginn kommt es zu Spannungen zwischen George Harrison und Paul McCartney. Letzterer verlangt mehrfach eine klare Zielsetzung, einen Plan ein und erscheint innerhalb der Band immer mehr als Entscheider, Macher, fast als Produzent. Harrison bleibt den Treffen für einige Tage fern, die anderen proben weiter, treffen sich mit ihm (ohne Kameras) und holen ihn wieder zurück. Irgendwann wird klar, dass es zu keiner TV-Show kommen wird und das mobile Aufnahme-Equipment und die unguten akustischen Verhältnisse des Filmstudios nicht funktionieren. Kurz wird über ein spontanes Konzert in einem Amphitheater in Libyen oder auf einem Kreuzfahrtschiff spekuliert, dann entscheidet man sich dafür die Aufnahmen im frisch eröffneten, Beatles-eigenen Apple-Studio im Keller eines Gebäudes in London weiterzuführen. Der bisherige Aufnahmeleiter Glyn Johns wird inzwischen technisch von George Martin unterstützt, immer wieder redet Martin auch mit der Band über Songs und Arrangements.
Die Band macht wieder und wieder Take um Take von denselben Songs und merkt selbst, dass etwas fehlt, da kommt der amerikanische Keyboarder Billy Preston zu Besuch vorbei, ihn kennen sie noch aus Hamburger Starclub-Tagen. Er wird prompt an das brandneue Fender Rhodes gesetzt das schon im Raum steht, zusätzlich wird eine Hammond-Orgel mit Leslie aufgebaut. Preston ist ab sofort als stiller Sideman dabei, wird übergangslos in den Bandorganismus aufgenommen, durch sein Spiel nehmen die Arrangements nun die Gestalt an, die wir heutzutage kennen.
Weil die Konzepte TV-Show, Konzert und traditionelle Albumproduktion geplatzt sind, sucht man nach einer zeitnahen Präsentationsform, inzwischen sind ca. 7 Songs fertig, neue Songs wurden durch alte („909“) und ein Traditional („Maggie Mae“) ergänzt, aber definitive Takes sind noch nicht vorhanden. Es entsteht die naheliegende Idee ein unangemeldetes Spontan-Konzert auf dem Flachdach des eigenen Gebäudes abzuhalten. Fast alle haben Lust auf diese verrückte Idee, einige wie McCartney erhoffen sich davon einen energetischen Schub, weil sie sich immer noch als erfahrene Live-Band verstehen, deswegen soll die Performance mitgeschnitten werden und tatsächlich werden mehrere der dort entstandenen Aufnahmen den koordinierten Studioaufnahmen bei der Veröffentlichung des Albums vorgezogen.
Das eigentliche Konzert, das, worauf die ganze Dokumentation hinausläuft, ist dann tatsächlich befreiend und katalytisch. Die Musiker wirken unbefangen und gelöst, haben Lust zu spielen, sind hochenergetisch, behalten aber gleichzeitig voll die Kontrolle. Das Konzert bringt die Fähigkeit der Beatles große Kunst aus dem Nichts zu erschaffen im Wesentlichen auf den Punkt. Selbst als die Polizei anrückt um die „Ruhestörung“ zu beenden (was für eine epochale Fehleinschätzung) und zwei Bobbys schon neben der Bühne auf dem Dach stehen, scheint das die Spielfreude der fünf (Preston ist auch dabei) nur weiter zu beflügeln, vor allem bei McCartney, der sich das Schmunzeln in dieser absurden Situation offensichtlich nicht verkneifen kann. Lennon und Harrison haben gleichzeitig keinerlei Interesse an den organisatorischen Details hinter und neben sich und sind trotz des ganzen fragilen Chaos vollkommen und ganz in ihrer Musik versunken, das ist wunderschön anzusehen.
Fazit: Auch wenn die ganze Doku lange dauert, so ist sie natürlich außerordentlich sehenswert, insbesondere wohl für Musiker, weil man erkennen kann, dass große Musik und Kunst immer wieder naiv aus dem Nichts erschaffen wird. Diesem unschuldigen und intimen Schaffensprozess fünf Jahrzehnte später so nah beiwohnen zu dürfen ist ein großes Geschenk, auch wenn sich die Kameraleute während der vielen Stunden im Januar 1969 vermutlich gefragt haben, was machen die Beatles da eigentlich und warum sollen wir das filmen. Man weiß ja immer erst hinterher was rauskommt und man sollte nicht zweifeln während man noch mittendrin steckt. Am Ende entstand eines der erstaunlichsten Alben der Popmusikgeschichte mit Songs wie „Let it Be“ und „The Long and Winding Road“, gleichzeitig ein legendäres Abschlussalbum, denn im April 1970 verkündete McCartney seinen Ausstieg bei den Beatles, vier Wochen später erschien das Album „Let It Be“. Die vier sollten nie wieder zusammen spielen.