Felix Schell versucht mittlerweile seit mehreren Jahrzehnten einer deutschen Leserschaft die musikalischen Konstruktionsprinzipien von Gitarrenmusik zu erklären. Ab Mitte der 1980er Jahre übernahm er den deutschen Vertrieb für den amerikanischen Notenverlag Mel Bay, ab Anfang der 1990er Jahre erschienen dann mehrere, musiktheoretische Veröffentlichungen im eigenen Verlag Schell Music. Das Studienheft „Arrangieren für den Gitarristen“ erschien erstmals 2002 und wurde nun in einer überarbeiteten und erweiterten Neuausgabe wiederveröffentlicht. Der Untertitel lautet „Musikschreiben für Gitarre und kleines Ensemble“.
Felix Schell hat sich dafür einiges vorgenommen: Allein die Inhaltsangabe umfasst drei komplette DinA4 Seiten. Das Heft unterteilt sich in acht Kapitel: „Melodie, Bass, Akkorde“, „Begleitung“, „Mehrstimmiger Satz“, „Thema und Variation“, „Akkordtypen“, „Jazz-Soloarrangement“, „Stil und Form“, „Rhythmusgruppe“ und endet mit einer knappen Schlussbetrachtung.
Diese sehr breit angelegte, thematische Vielfalt ist zugleich Vorteil und Manko dieser Publikation. Als Gitarrist mit etwas Spielerfahrung bekommt man einen weitgefächerten Rundumschlag durch viele allgemeinmusikalische und instrumentenspezifische Disziplinen geboten, fachlich zwar grundsätzlich korrekt, allerdings mit deutlicher Tendenz zur Verkürzung und Sprunghaftigkeit. Zudem unternimmt Schell die Betrachtung ausschließlich aus gitarristischer Perspektive, was in Ordnung geht, aber den Blick mitunter doch beträchtlich einengt.
Das Manko des Buches ist, dass sich der Autor dann doch erkennbar zuviel vornimmt. Das Buch streift tatsächlich die Themenbereiche: Melodik, Harmonik, Rhythmik, Tonsatz, Formenlehre, Stilkunde, Musikgeschichte, Stimmführung, Solo und Ensemblearrangement, mehrstimmiger Satz, Basslinien, Reharmonisation, Fingerpicking, Opentunings etc.pp. und gerät dadurch immer wieder spürbar an didaktisch-methodische Machbarkeitsgrenzen. Es ist einfach nicht möglich all diese Themen in einem 100 Seiten Heft auch nur halbwegs seriös abzuhandeln. Deswegen werden sie vielfach nur angerissen und skizziert. Schell will zu viele Inhalte unterbringen. Weniger wäre hier ziemlich sicher mehr gewesen.
Etwas bedauerlich ist auch, dass Schell zur Demonstration seiner Arbeitsweise durchgängig wirklich uralte Volksweisen und Folksongs heranzieht. Das hat ziemlich sicher Copyright-Gründe, aber hier wurde leider am falschen Ende gespart. Es ist nicht verkehrt ein schönes Arrangement von „Scarborough Fair“, „Greensleeves“ oder „St. James Infirmary“ zu erstellen, aber mit auch nur halbwegs zeitgemäßem Liedgut hat das natürlich nichts zu tun. Da ist das Material zu sehr aus der Zeit gefallen, ist teilweise Jahrhunderte alt oder im besten Fall aus den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts. Da hätte man sich lieber eine paar Songs aus den letzten Jahren gewünscht, die dann vielleicht auch stilistisch für ein paar modernere Arrangementideen herhalten können. Eine CD wie bei der Erstausgabe ist diesmal nicht im Lieferumfang enthalten.
Fazit: Ein korrektes Lehrbuch für den ersten Überblick, leider mit etwas antiquierten Musikbeispielen.
Das broschierte Heft hat 100 Seiten, erscheint bei Schell Music und kostet 24,95 Euro.
Das Cover gefällt mir zunächst einmal sehr mit den 2 unterschiedl. dezenten Blautönen.
Dass sich der Autor selbst zu Wort, hat hauptsächlich zwei Gründe. Zum einen möchte ich anmerken, dass es bei der Neuharmonisierung von Melodien keine besseren Titel gibt, als Gospels und Folksongs, ja auch Choräle und Melodien der Alten Musik. Dies hat etwas mit deren Allgemeingültigkeit zu tun. Zum zweiten: Das Buch möchte dazu anregen, verschiedene Dinge auszuprobieren und gibt Tipps zum Anfertigen von Varianten bis hin zum Werk mit Vortragslänge.
@Felix Schell: Danke für den Kommentar und herzlich willkommen auf diesem Blog. Es ist in der Tat ungewöhnlich, aber sehr lobenswert, dass Sie sich als Autor zu Wort melden und zur Kritik persönlich Stellung beziehen. Ein Diskurs auf Augenhöhe ist ja genau der Vorteil von fachspezifischen Blogs.
1. Ich bin selbst ein Freund von Gospels und Folksongs, auch Choräle und Melodien der Renaissance und des Barock sind mir durchaus nicht fremd. Ich teile auch Ihre Meinung, dass sich dieses Material zur didaktisch/methodischen Demonstration von klassischen Satztechniken gut eignet. Allerdings halte ich es für bemerkenswert, dass Sie sich komplett auf diese uralten, musealen Themen beschränken. Gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich ja auf den Gebieten von Popsong, (E-)Gitarre und Produktion sehr viel getan. Melodieaufbau, Rhythmik, Harmonik, Sounds, Beats und Arrangements von moderner Popmusik unterscheiden sich dann eben doch von Choralmelodien, Minnegesängen und Volksliedern vergangener Jahrhunderte. Hier hätten ein paar zeitgemäße Lieder einen dankenswerten Akzent gesetzt. Ich vermute immer noch, dass ihre Auswahl in erster Linie lizenzrechtliche Gründe hat.
2. Dass das Buch exemplarische Beispiele und somit auch Anregungen zum Ausprobieren liefert, ist selbstverständlich und liegt in der Natur der Sache. Man muss die Beispiele allerdings selbst spielen, eine Audio-CD lag meiner Ausgabe jedenfalls nicht bei, das macht die Sache etwas umständlich. Schade, dass die anscheinend ja vorhandenen Klangbeispiele nicht einfach zum kostenfreien Download im Netz angeboten werden. Das hätte einen deutlichen Mehrwert dargestellt.
Kurz ansprechen möchte ich abschließend noch eine Email von Ihnen, die leider nicht ganz so freundlich ausgefallen ist wie der obige Kommentar. Sie bekunden darin ihren Unmut über die nur mittelmäßig ausgefallene Kritik und fragen misstrauisch nach warum ich überhaupt Rezensionen verfasse und in wessen Auftrag ich schreibe. Abschließend bemerken Sie, dass ich „keine Autorisierung durch eine anerkannte Fachzeitschrift vorweisen“ könne und wünschen, dass ich meine Rezension lösche. Dazu Folgendes:
Ich schreibe aus rein fachlichem Interesse und zwar für mich und die Leser meines Blogs. Einen Auftraggeber habe ich nicht und ich bekomme für meine Arbeit (ca. 2-3h Recherche und Schreiben pro Artikel) kein Honorar, dafür kann ich meine Meinung öffentlich bekunden und manchmal entstehen darüber interessante Diskussionen, hin und wieder auch anregende Kontakte. Eine externe „Autorisierung“ brauche ich gar nicht, ich ermächtige mich einfach selbst, bin unabhängiger Autor und Publizist meiner Texte. Vielleicht meinten Sie aber auch etwas anderes, es las sich nämlich so als wollten Sie nach meiner Legitimation fragen? Die brauche ich gar nicht, in einer freien Gesellschaft darf man das einfach tun (freie Meinungsäußerung). Oder bezweifeln Sie vielleicht meine fachliche Befähigung? Da kann ich nur auf meine Studienabschlüsse (Diplom, Magister, Promotion) und meine künstlerischen, journalistischen und musikwissenschaftlichen Veröffentlichungen hinweisen. Ich hoffe sehr, dass damit Ihre Fragen beantwortet sind. Für einen weiteren Austausch über den Inhalt ihres Buches stehe ich gerne zur Verfügung, aber bitte nicht per Mail, sondern öffentlich über die Kommentarfunktion auf diesem Blog.
to be continued…?… es bleibt spannend!
Nun, hier ist wieder Felix Schell. Auch ich finde eine Diskussion auf einem Blog spannend und es gibt ja auch Zuschauer! Was die Rezension anbetrifft, so war ich schon irritiert über die Feststellung, dass meine Person „versucht“ seit mehreren Jahrzehnten (bitte lesen) – klingt sehr geringschätzig – übrigens meine Bücher werden teils im Ausland verlegt. Gut, wer austeilt, sollte auch einstecken können, warum aber Dennis hast Du auf meine nachfragende persönliche Mail hin bei Amazon die Sternchen Bewertung um einen Punkt verringert.
Zu YouTube Präsentationen, es gibt in Anlehnung an das Buch bereits 2 Videos (Amazing Grace, St James Infirmary Blues) und es werden weitere Titel folgen.
Eine kleine Info zu Lizenz und Copyright. Auch andere Verlage scheuen Lizenzen – immer sind sie zeitlich und räumlich begrenzt – und sie müssen auch gewährt werden; da steckt ein wenig mehr dahinter, als ein paar hundert Euro. Es macht auch Spaß aus Traditionals etwas Neues zu schaffen – es geht um Kreativität.
@Felix Schell: Mit anderen Worten, Dennis Schütze hat mit seiner Vermutung, die Song-Auswahl sei hauptsächlich unter lizenzrechtlichen, aber keinesfalls unter didaktischen Aspekten erfolgt, voll ins Schwarze getroffen. Danke für diese Auskunft aus erster Hand, mission accomplished.
So etwas wurde ja niemals behauptet – eine sinnlose Verdehung der Tatsachen, wird Zeit, dass ich mich hier ausklinke.
Was gibts daran auszusetzen? Die Songauswahl passt immer zum Thema.
@Felix Schell: Hier bezweifelt keiner ihre verlegerische Leistung oder die, die sie sich als Autor in vielen Publikationen erarbeitet haben. Das Buch ist immer inhaltlich korrekt, aber es hat eben seine Besonderheiten und das wurde in der Rezension thematisiert, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Bitte nicht gleich alles persönlich nehmen, da hätte ich nach ihrer letzten Email ja zu Tode beleidigt sein müssen.
Auch wenn wir beide uns einig sind, dass an diesen alten Melodien durchaus satztechnische Zusammenhänge demonstriert werden können, so wirkt es vermutlich gerade auf Leser, die jünger sind als wir beide, etwas befremdlich. Das sagt mir einfach meine Erfahrung als Rezensent, Pädagoge und Dozent. Und das war ja auch nur einer meiner Kritikpunkte, ich will hier jetzt nicht noch einmal ins Detail gehen.
Danke für den Hinweis mit den Videos. leider steht davon nichts im Buch. Wenn man Kontakt mit dem Autor aufnehmen muss um davon zu erfahren, dann ist das eben…“umständlich“.
Ich persönlich halte die Neuauflage des Buches mit den erwähnten Einschränkungen für durchaus in Ordnung, deswegen 3 Sterne, aber aus meiner Sicht ist es eben nicht sehr gut oder gar perfekt. Wenn Sie mal wissen wollen, was ich schreibe, wenn mir etwas nicht sonderlich gefällt dann lesen Sie meine Rezension zu „Harmonielehre für Gitarristen“ (PPV) auf diesem Blog oder Amazon. Danke für Ihre rege und impulsive Beteiligung an dieser Diskussion. Keep on keeping on!
Eine Frage noch: Wie schafft es beispielsweise Kollege Michael Langer bei Dux gleich 20 ausgedehnte Arrangements von sehr aktuellen Popsongs zum nahezu gleichen Heftpreis unterbringen? Siehe auch meine Kritik „Acoustic Pop Guitar Solos“, sehr empfehlenswertes Heft (mit Audio-CD). Vielleicht könnten Sie sich dazu aus verlegerischer Sicht kurz äußern.
So, jetzt bin ich nicht am Iphone, sondern zuhause am PC, da schreibt es sich leichter. Zu deiner Frage mit dem Dux-Verlag. Es ist halt so, verlegerisch entscheidet man sich für entweder a) neue Kompositionen, neue Bearbeitungen von Traditionals oder b) andererseits für die Bearbeitung bekannter Popsongs. Beide Ansätze sind ok. Natürlich verkaufen sich bekannte Titel gut, aber die ganze Kalkulation ist eine andere. Nun sind ja Michael Langers „Samba Pati“ und „Stairway to Heaven“ Kompositionen auch schon nicht mehr neu zu nennen. Maria Linnemann (Ricordi) ist beispielsweise überaus erfolgreich mit neuen, eigenen Gitarrenkompositionen. Gute Schreiber sind gesucht. Und in dieser Beziehung ist mein neues Buch schon ziemlich stark, wegen der Sicht auf das, was im Notenbereich (auch Musikschule) gesucht wird. Es ist weniger die Singer/ Songwriter- Ecke.
hier noch ein Bearbeitung aus „Arrangieren für den Gitarristen“ (Danny Boy): https://www.youtube.com/watch?v=NiOPdBTAPU0
Dieses Buch scheint genau das richtige für mich zu sein. Ich spiele hobbymäßig klassische Musik auf der Gitarre und habe auch schon einiges arrangiert. Ich hoffe mit diesem Buch mein Wissen zu bereichern. Die neue Musik wie Rock und Pop ist für mich eher uninteressant und dient nur der Berieselung.