Mein Urgroßvater Ludwig Hermann Schütze ist Ende des 19. Jahrhunderts als junger Mann alleine nach New York ausgewandert, hat dort 13 Jahre als Vertreter der Photographischen Gesellschaft Berlin die ansässige Filiale geleitet und eine Familie gegründet. Mein Großvater Ralph Earnest Schütze wurde 1902 in Flatbush, Brooklyn, New York geboren, kehrte aber noch vor Ausbruch des ersten Weltkriegs mit Eltern und Geschwistern nach Berlin zurück und wuchs dort auf.
Mein Großvater war Vater von fünf Kinder, drei mit der ersten, zwei mit der zweiten Frau. Ende 1943, als Berlin bereits mehrfach bombardiert worden war, brachte er Mütter, Kinder und andere Teile der Familie in das weit entfernte österreichische Bergdorf Gerlos in Tirol, wo sie unter einfachsten Bedingungen, aber sicher vor Krieg, Zerstörung und Vertreibung bis 1946/47 ausharrten um danach in das zerbombte Berlin zurückzukehren.
Mein Großvater war wohl ein Lebemann, der gerne erzählte, lachte und sang. Obwohl er als Zivilist nicht direkt am Krieg beteiligt war, hat ihn der Krieg trotzdem gebrochen, in der Nachkriegszeit kam er nicht mehr zurecht. Leider habe ich ihn nicht kennengelernt. Weil er aber von großer Bedeutung für seine fünf Kinder war, habe ich viel von ihm erzählt bekommen und gelesen.
Der Song „My Granddad“ handelt von diesem leichtlebigen Mann, meinem Opa, der im entscheidenden Moment Mut und Entschlossenheit bewiesen hat. Seine Maßnahmen trugen dazu bei, dass die Mitglieder der erweiterten Familie Schütze den Krieg körperlich unversehrt überstanden haben. Deswegen musste ich dieses Lied schreiben.
Ist eigentlich nicht meine Art Songdemos vorab zu veröffentlichen, in diesem Fall musste es aber sein. Wird wohl voraussichtlich als Studioversion auf dem nächsten Dennis Schütze Album (2018) erscheinen. Hier der Songtext:
My Granddad
Written by Dennis Schütze, for Ralph Earnest Schütze (1902-1964)
My Granddad was a player, a joker and a Jack of all trades,
He didn’t always play his cards right, but he knew when he had an ace.
Born 1902 in Flatbush, Brooklyn, New York City,
He was the oldest son of German salesman and woman nameless and pretty,
They named him Ralph Earnest and called him Boykey for the key he wore around his neck,
And one day they took a trip to Germany and they never made it back.
It was the Weimar Republic after World War One, the golden twenties in full swing,
And he lived his life and took a wife and he loved to talk and sing,
He claimed to be an engineer, a constructor of machines,
And steered his Adler automobile through the streets of old Berlin.
When Hitler came to power in nineteen-thirty-three,
He worked hard for a company and raised a family,
A daughter born in thirty-four and two more children after that,
But by then the marriage fell apart and one day he took his hat.
While trav’ling for the company he met a girl so young and fair,
She fell in love and he gave in and they started an affair,
My uncle born in fourty-two, my dad in fourty-three,
That’s when he played his ace out right and saved his families.
World War two had took its toll, Berlin was bombed down to the grounds,
With papers and passes in his hands he took them out of town,
He knew of a place deep in the south, a little village in the Alps and then,
He drove them down in his automobile, two women and five little children.
While Germany was burning up and the whole world was falling down,
He took care of his family and they came out safe and sound,
After the war in fourty-seven they all returned to old Berlin,
And he tried to live a life again put just couldn’t fit in.
Times were hard and life just sad and along the way he lost his will,
He couldn’t find a turnaround and took to alcohol and pills,
With no perspective and no money, his days had turned to night,
And one day in post-war Germany he laid down to rest and died.
As a grandchild born in sev’nty-two I heard some of these stories,
Like how your children all admired you and how you never seemed to worry,
You were weak and strong and cool and soft and you cheated and you lied,
But when it was time to lay the cards down, you had played them right.
My Granddad was a player, a joker and a Jack of all trades,
And he knew when he had an ace.
Danke für diese musikalische Familiengeschichte – ist ja auch mein Grossvater! Du hast Recht – eine Familie in Kriegszeiten durchzukriegen ist eine Leistung, die gewürdigt werden muss. Wenn wir uns mal wiedersehen, erzähle ich Dir meine Erinnerungen.
@Christine: Danke für deine Wortmeldung, liebe Cousine, und: Ich freue mich jetzt schon auf ein Wiedersehen und darauf deine Erinnerungen erzählt zu bekommen. Wir sollten mal was ausmachen, auf den Zufall zu hoffen wäre in diesem Fall leichtsinnig! Schau mal wieder vorbei!
feiner song
Beeindruckende Vita von deinem Großvater.
@Dennis: mit dem Song hast du ihm ein schönes „Denkmal“ im Netz hinterlassen.
Großartig! Zeitgeschichte eindrucksvoll vertont. Noch dazu mit familiärem Background. Spannend und äußerst interessant!
lieber dennis, vor 53 jahren ist boykey, dein grossvater, in die ewigen jagdgründe gegangen….
und nun widmest du ihm einen so wunderbaren nachklang….
ein schöner, berührender text, der ein nicht leichtes leben beschreibt…
ich habe boykey (meinen onkel) aus kindheitstagen noch in lebhafter erinnerung….er sah gut aus, konnte zahlreiche zauberkunststücke und war immer gut gelaunt…über sein „lebensunglück“ wusste ich damals nichts….
ich glaube boykey „fiel aus der zeit“ und war doch widerwillen mittendrin….
mit kompliment und knicks
nannette
Lieber Dennis
Haste jut jemacht!
Jetzt weiß ich endlich mal wie sich der Name „boykey“ für meinen Onkel erklärt.
Wurde ja mal Zeit!
Wir fanden ihn wunderbar. Er hatte ein Herz für Kinder (“…aber nur bis zwölf“, sagte unsere Mutter.) Er war musikalisch und spielte in jungen Jahren etwas Gitarre (wieder die Mutter).
Und wenn einen irgendein Erwachsener ernst nahm und mal ne Zigarette rüberreichte, dann war er es.
Danke für den Song
Jakob
@Jakob: Danke für dein Feedback und willkommen auf dem Blog. Das mit der Zigarette kann ich mir gut vorstellen. Auf den meisten Fotos hat er eine in der Hand oder im Mund. Rauchen war damals ja noch kein verwerfliches Laster wie heute und Zigaretten in der Nachkriegszeit Genuss- und Zahlungsmittel.
Heute schenkst du am besten keinem Kind mehr eine Zigarette. Aber schon klar, die Geste zählt. Und er muss schon ein Herz für Tiere, Kinder und Frauen gehabt haben. Trotz einiger persönlicher Schwächen hat er immer wieder sehr menschlich gehandelt. Mein Vater hat mir eben erst erzählt, dass er sich sehr hilfreich um die die Ausreise seines jüdischen Schwagers bemüht hatte, der bereits interniert gewesen war. Das war wohl eine weitere knappe Nummer, die verhältnismäßig gut ausgegangen ist.
Mich freut diese Family-Reunion 🙂
So gut der Songtext und das ganze Stück, Dennis, so habe ich gewisse „Probleme“ (eig. zuviel gesagt) mit dem Country-Stil (?!) der Verklärung einer Story.
Weiss nicht, ob Du mich verstehst?!
Weiß nicht, ob Dein Grandpa so eine schlüssige Story in seinem eigenen leben sah. Immerhin ist er ja dann auch abgestürzt. Da war es dann vorbei mit der Leichtigkeit.
Off-Topic: Es gibt ja so etwas wie Philosophie der Geschichtsschreibung…man fasst ja das Geschehene einer Epoche zusammen, immer subjektiv natürlich und höchst konstruierend! Man flechtet dabei eine Geschichte, ein Narrativ, notwendigerweise.
Das fiel mir ein.
Würde mich freuen, wenn Du darauf antwortest!
@Gerhard: Danke für deine kritische Nachfrage. Ich will hier nicht meinen eigenen Song analysieren, deswegen einige allgemeine Gedanken.
Dichtung ist immer auch Verdichtung. Short Stories, Gedichte und Songtexte sind per Definition pointiert und komprimiert. Bei „My Granddad“ wurden einige herausragende Ereignisse einer Familiengeschichte, die sich über ein ganzes Jahrhundert erstreckt, auf ein Blatt Papier geschrieben und in knapp 5 Min. sängerisch erzählt. Es ist eine von vielen möglichen Sichtweisen auf die Geschehnisse, das ist meine. Habe mir ein paar kleine dichterische Freiheiten genommen, aber an keiner Stelle wissentlich übertrieben oder die historische Wahrheit verklärt. Und ich denke, es ist klar, dass ich grundsätzlich Sympathien für meinen Großvater habe. Es ging mir darum aufzuzeigen, wie wichtig sein entschlossenes und couragiertes Handeln in bedrohlichen Zeiten gewesen ist. Obwohl nicht immer alles rund lief in seinem Leben, hat er sich dafür Anerkennung verdient und sollte positiv in Erinnerung bleiben.
Und deinen Einwand von wegen Countrystil verstehe ich gar nicht, ich habe gar keinen Hut auf und die Worte Pferd, Truck und Highway kommen auch nicht im Song vor 😉
Danke für deine Response.
Pferd, Truck und Highway kommen nicht vor, aber Stolz und Resilienz (neudeutsch). Das ist doch Countrythema, meines Wissens.
Im übrigen hast du ZWEI Großväter. Es ist schade, daß die weibliche Linie immer zu kurz kommt.
Ich verfüge ja auch über eine Ahnentafel, aber trotz Bemühung habe ich auf der weibl. Seite ganz schöne Lücken. Prägungen kommen von beiden Seiten: In meinem Falle maße ich mir an, von meiner Großmutter väterlicherseits die Lust am Künstlerischen zu haben. Zumindest läge das nahe. Muss aber nicht, wir hatten das Thema schon…
Lieber Gerhard, tut mir leid, dass ich nicht meinen gesamten Familienstammbaum in einen Song pressen konnte. Über den Großvater mütterlicherseits weiß ich fast nichts (französischer Kriegsgefangener), da musst du dich wohl noch etwas gedulden. Habe mit „My Granddad“ übrigens erstmals mit der Tradition gebrochen nur über weibliche Familienangehörige zu schreiben (Mutter, Tochter, Tochter), zusätzlich gibt’s in meinem Oeuvre sehr viele Songs über Frauen (Gertrude, Cinzia, Florina, plus viele namenlose).
Aber du hast natürlich Recht, bei der üblich Betrachtung von Familiengeschichten fallen die weiblichen Linien allzu schnell unter den Tisch. Das ist mit bei meiner Recherche auch aufgefallen. Liegt natürlich auch daran, dass die Nachnamen bis vor kurzem immer über den Mann weitergegeben wurden.
Aus der Falle hat mir erstaunlicherweise ein alter Ariernachweis eines Uronkels geholfen. Da waren fein säuberlich alle weiblichen und männlichen Vorfahren z.T. inkl. ausführlicher Angaben zu äußeren und charakterlichen Merkmalen verzeichnet. So hat das Dokument letztlich doch noch einen Nutzwert gehabt, der über die eigentliche, absurde Bestimmung hinauswies.
Charakterliche Merkmale?
Nun gut,’wenn man gestorben ist, ist es egal, was über einen befunden wird.