Von Oktober 2017 bis Dezember 2018 hat der US-amerikanische Rockmusiker Bruce Springsteen im Walter-Kerr-Theater in New York die Konzertshow „Springsteen on Broadway“ abgehalten. Es handelt sich dabei um eine abendliche „Ein-Mann-Show mit privaten Anekdoten aus seinem Leben und akustischen Versionen seiner bekanntesten Songs“ (Pressetext). Die Show war von Anfang an jedes Mal bis auf den letzten Platz ausverkauft, musste mehrfach verlängert werden und gewann schließlich einen speziellen Tony Award für die Bühnenperformance. Mitte Dezember 2018, pünktlich zum letzten Termin auf der Bühne, erschienen ein dazugehöriges Album und beim Streamingdienst Netflix ein exklusiver Konzertfilm der Performance.
Springsteen singt und spielt seine Lieder abwechselnd zur eigenen Gitarren- und Klavierbegleitung, hin und wieder bläst er die diatonische Mundharmonika, vor allem aber erzählt er von sich, seinen Eltern, seiner Heimatstadt, seinem Werdegang und allem was danach noch so kam. Bei den rezitierten Passagen handelt es sich um Auszüge aus seiner Autobiographie „Born to Run“ (2016) und ergänzt durch eigens für die Show verfasste Texte. Von Feuilletons und hingebungsvollen Fans wird die Show gelobt und gefeiert, als neutraler Beobachter ist man ernüchtert, vielleicht auch geschockt von so viel unkünstlerischer Langeweile.
Der 69-jährige Bruce Springsteen ist ein alter, weißer Mann, ein Multimillionär, der wie ein Besessener immer nur von sich, sich, sich, erzählt und singt. New Jersey, New Jersey und danach immer nur USA, USA, USA. Die alltäglichsten und lächerlichsten Kleinigkeiten werden in seinem nur teilweise mit Musik unterlegten narzisstischen Monolog zu ungeheuerlichen Gamechangern aufgebauscht und nachträglich mit einem metaphysischen Sinn unterlegt. Es geht um Eltern und Verwandtschaft, seine Heimatstadt, seinen Traum auf der Bühne zu stehen, wie er sich nach oben arbeitete und später Erfolge feierte. Schon klar, dass Künstler selbstbezogen sind (sein müssen), aber Springsteen war nie ein besonderer Musiker, Sänger oder Gitarrist. Er war vor allem ein energetischer und angeberischer Schreihals, der eine Geschichte in einen Song verwandeln konnte und als Projektionsfläche für eine ganze Nation diente. Nach einer fast 50-jährigen Bühnenkarriere und fast 70 Lebensjahren hätte man ihm aber etwas weniger Selbstbezogenheit und etwas mehr generellen Überblick, gar Weisheit zugetraut. Das beginnt im Kleinen und endet im großen Ganzen.
Obwohl (vielleicht auch weil) Springsteen die Show monatelang immer, immer wieder aufführte, wirkt seine Darbietung unauthentisch und hölzern, steif und starr, eben komplett auswendig gelernt und lustlos abgespult. Seine Ausdrucksweise ist nicht elegant, es ist reine Schriftsprache, durchsetzt von redundanten Repetitionen, so spricht kein normaler Mensch. Er bewegt sich und gestikuliert dabei wie ein drittklassiger Shakespeare-Darsteller bei einer Schulaufführung in der Provinz. Die Witze sind lahm und voraussehbar, am schlimmsten sind die Passagen, in denen es pathetisch und rührselig wird. Man stellt sich vor wie Springsteen diese Stellen Abend für Abend wieder abruft und längst gelangweilt ist von seiner eigenen Performance und den immer gleichen Abläufen. Wenn er dann mal zur Musik wechselt, wird es leider nicht besser. Er singt krumm und schief, schrammelt auf seiner asiatischen Takamine-Klampfe rum (von wegen USA), dilettiert am Klavier, trötet auf der Harmonika.
Springsteen sieht die Welt nur auf seine ganz eigene Weise. US-zentristisch, testosterongesättigt, rückwärtsgewandt, es ist tragisch. Südamerika, Europa, Asien, Afrika kommen in seiner Betrachtung nicht vor. Immer nur Vergangenheit und die gute, schlechte alte Zeit in New Jersey, USA. Gegenwart und Zukunft finden längst nicht mehr statt. Springsteen schafft so eine gruselige, alternative Wirklichkeit und als aufgeklärter Europäer ist man geneigt zu fragen: Was unterscheidet seine nostalgische, tunnelartige und ich-bezogene Rückschau eigentlich von der amerikanischen Alt-Right-Bewegung, gegen die er sich angeblich stellt? Falls es Unterschiede gibt, sind sie von außen betrachtet marginal. Das Narrativ ist grundsätzlich dasselbe: Früher war alles besser. Publikum und Anhänger von Bruce Springsteen und Donald Trump sollen sich aus derselben Bevölkerungsschicht zusammensetzen, schreibt die SZ. Dazu passt: Die billigsten Tickets für Springsteens Broadwayshow kosteten 511 Dollar, die meisten deutlich mehr. Die einfachen Menschen, von denen Springsteen ununterbrochen in Ansagen und seinen Songs erzählt, könnten sich nicht mal im Ansatz ein Ticket für seine Show leisten, vermutlich nicht mal die Anfahrt. Der Mann und seine Show sind eine einzige, große Farce. Dieser Konzertfilm liefert den ultimativen Beweis.
Ich habe es nach 45 Min nicht mehr ausgehalten und abschalten müssen.