Buch: „Die goldenen Jahre“ von Ali Eskandarian

DieGoldenenJahreAli Eskandarian wurde 1978 in Florida (USA) geboren, wuchs aber in Teheran (Iran) auf. Seine Familie emigrierte über Deutschland in die USA, seine Jugend verbrachte er in Dallas, Texas, 2003 zog er nach New York. Im selben Jahr wurde sein Debut-Album als Singer-Songwriter („Nothing to Say“) veröffentlicht. Neben seiner Solo-Karriere spielte und tourte Eskandarian mit mehreren Bands, vor allem mit der iranischen Exil-Band „The Yellow Dogs“, mit denen er auch in einem Haus in East Williamsburg, einem Stadtteil von Brooklyn, lebte. Er hatte gerade die Arbeit an seinem ersten Roman abgeschlossen, als er im November 2013 dem Amoklauf eines Musikerkollegen zum Opfer fiel und zusammen mit zwei Mitgliedern der Yellow Dogs in ihrem gemeinsamen Haus erschossen wurde. Sein Roman „Die Goldenen Jahre“ (Orig.: „Golden Years“) erschien 2015 im englischen Original und im selben Jahr in deutscher Übersetzung (hervorragend: Robin Detje) im Berlin Verlag.

Der stark autobiographisch geprägte Roman beschreibt das bewegte und ziemlich unkonforme Künstlerleben des Ich-Erzählers. Er lebt zusammen mit anderen Musikern, Künstlern und Literaten in einem runtergerocktem Loft in Brooklyn, New York. Chronisch klamm wird hier nichts desto trotz gelebt, geliebt und gefeiert. Beschrieben wird ein irres Hipsterleben auf der Überholspur, das geprägt ist von Partys, Drogenkonsum und sexuellen Begegnungen aller Art. Ali macht Musik, geht mit diversen Bands auf Tour, trifft Groupies, feiert mit fremden Menschen, jobt immer dann, wenn er dringend Geld braucht, lässt sich aber auch durchfüttern und schmarotzt sich auf sympathische Art und Weise durchs bewegte Leben. Er bleibt dabei freundlich und zurückhaltend, ist Saufkumpan, Kifferbody und One-Night-Stand, Kneipenbekanntschaft und Frauentröster. In Rückblenden beschreibt er schlaglichtartig seine Kindheit im Iran, die Flucht der Familie erst nach Frankreich, dann über Deutschland nach Texas in die USA. Im wesentlichen dreht sich die Geschichte allerdings um die goldenen 00er Jahre, konkret wohl um die Jahre von 2003 (Umzug nach NY, VÖ des Debutalbums) bis 2013 (Vollendung des vorliegenden Romans, Tod).

Eskandarians Schreibstil ist unstet, temporeich und sehr assoziationsreich, sein Sprache gleichzeitig frisch und orientalisch-poetisch. Man hat den Eindruck er spricht ungefiltert und ohne moralische Abwägungen zum Leser, immer wieder gibt es Passagen, die wie Stream-of Consciousness wirken, rausgehauen wie Kerouacs „On the Road“ (vermutlich ein literarisches Vorbild). Es gibt keine Kapitel, einzelne Abschnitte werden durch Hashtags voneinander getrennt, so wirkt der Text tagebuchartig, allerdings mit erheblichen Orts- und Zeitsprüngen bei denen es manchmal schwer fällt zu folgen. Passt aber absolut zum meist fiebrigen Speed-, Amphetamin und Kokainrausch der Hauptperson.

Ein modernes Buch, das die Widersprüche, Absurditäten und Verlorenheit der modernen Welt wunderbar in Worte fasst. Eskandarian selbst sieht sich zum Ende hin immer mehr der hedonistischen New Yorker Indie-Künstlerwelt entwachsen, kann die Tourneen und die Ausschweifungen nicht mehr genießen, zieht sich mehr und mehr zurück, versucht seinen Drogenkonsum etwas zu mäßigen, zieht konsequenterweise aus dem gemeinsamen Loft aus, beobachtet von Außen, wird zum Chronisten einer Ära, die er als abgeschlossen erachtet.

Fazit: Es ist furchtbar traurig, dass dieser gelungene Roman nicht nur den Anfang, sondern gleichzeitig auch das Ende und das Gesamtwerk des begabten Literaten Ali Eskandarian darstellt. Auch wenn der gewaltsame Tod sein Leben viel zu früh beendet hat, so kann man doch an dem im Roman beschrieben Leben bereits deutliche Zeichen von Abnutzung, Ausgebranntheit, Überdruss und Todessehnsucht erkennen. Schön, dass neben seiner Musik auch noch dieses literarische Dokument erhalten geblieben ist. Hier eines seiner Musikvideos:

„Die goldenen Jahre“ erscheint im Berlin Verlag, hat 208 Seiten und kostet gebunden 20,00 €.

Ein Gedanke zu „Buch: „Die goldenen Jahre“ von Ali Eskandarian

  1. Das hat man ja so oder so schon oft gelesen. Die Stories wiederholen sich.
    Der Film „Welcome to L.A.“ von Alan Rudolph fiel mir gerade spontan ein.

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