Spotify Multimillionär

Seit diesem Montag bin ich Spotify Multimillionär. Im Frühjahr 2019 hatte ich darüber berichtet, dass der von mir produzierte Track „Jolene“ mit Sunny Sweeney vom Album „Sideburner“ (2006) stramm auf die 500.000-Marke zusteuert. Seitdem kamen jeden Tag 1-2000 Zugriffe dazu. Ende 2019 wurde bereits die eine Millionengrenze überschritten, die täglichen Zuwächse verlangsamten sich zwar zuletzt etwas, aber zwei Jahre später wurde nun mit 2.000.202 die Zweimillionengrenze geknackt, was mich offiziell zum Spotify Multimillionär macht. Wer hätte das gedacht? Die kuriose Vorgeschichte und die unwahrscheinliche Wendung zum Track hatte ich bereits in einem anderen Artikel beschrieben.

Dabei hatte ich doch von Anfang an alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Der Track und das dazugehörige Album hatte ich 2005/06 wider besseres Wissen produziert und finanziert, obwohl es weder eine feststehende Band, noch ein Publikum und schon gar keine Zuhörerschaft oder Konzerttermine gegeben hatte. Von der gepresstes CD habe ich vielleicht gerade mal 100 Stück verkauft, der Rest steht heute noch eingeschweißt und verpackt bei mir im Keller. 2007 hat das Label Fuego aus Bremen alle meine bis dahin entstandenen Alben ins Portfolio übernommen und zuerst zum Download, später als Stream angeboten. Dann passierte lange Zeit gar nichts, ich hätte es auch gar nicht mitbekommen, weil ich selbst immer noch CDs kaufte und nur MP3s hörte, die ich selbst digitalisiert hatte.

Zum Jahreswechsel 2018/19 fiel dem Label auf, dass sich etwas bewegte und gab mir Bescheid. Hatte damit zu tun, dass der Song „Jolene“ (von Dolly Parton) auf einmal in verschiedenen Versionen eine Renaissance erlebte, z.B. von Miley Cyrus, White Stripes, BossHoss etc. Dass die texanische Sängerin Sunny Sweeney in den US-amerikanischen Country-Charts vertreten war und plötzlich einer größeren Zuhörerschaft bekannt wurde, hat sicher auch nicht geschadet. Ganz allgemein haben digitale Streamingplattformen in den Jahren aber auch grundsätzlich sehr viele Abonnenten dazugewonnen und so wurde die Gesamtzahl der Streams beträchtliche nach oben getrieben.

Ca. 14 Jahre nach seiner ursprünglichen Entstehung fand der Track also doch noch sein Publikum. Hatte aber leider keine Auswirkung auf andere Tracks vom Album oder gar andere meiner Alben, die dümpeln im Vergleich so vor sich hin, obwohl es meiner eigenen bescheidenen Meinung nach bessere Tracks von mir gibt als ausgerechnet „Jolene“, aber was den Leuten gefällt kann man sich bekanntlich nicht aussuchen und „the public is always smarter than you.“ (John Mayer), also was weiß ich schon? Ich kann nur leider noch nicht mal musikalisch anschließen. Zu Sweeney selbst hatte ich nie direkt Kontakt, die Bandmusiker waren ein zusammengewürfelter Haufen, an Aufnahme, Mix & Master kann ich mich nicht mal mehr richtig erinnern, irgendwelche mystischen Geheimnisse gab es aber wohl nicht, das hätte ich mir gemerkt.

Gerade weil es so ein Zufallstreffer war, hofft man als produzierender Musiker natürlich, dass das nochmal passiert, man hat ja jetzt den Beweis, dass es klappen kann, dass man auch mit einem obskuren Track aus der fränkischen Provinz viele Menschen erreichen und weltweit Erfolg haben kann. Aber, wenn auch die eigenen Veröffentlichungen qualitativ besser und quantitativ häufiger geworden sind, so konkurriert man inzwischen buchstäblich und wortwörtlich gegen die ganze verdammte Musikwelt da draußen und es ist immer unwahrscheinlicher, dass man gehört wird, weil die anderen natürlich zum großen Teil mit abartigen Tricks und Budgets operieren. Wie soll man da als One-Man-Show was gestemmt kriegen? Und dann auch noch mit eigenen Songs, außerhalb des Mainstreams und ohne die traditionelle Wirkungsplattform Konzerte um seine Musik zu Gehör zu bringen.

Wie auch immer, ich muss jedes Mal grinsen, wenn ich alle paar Wochen die Zugriffe auf meine Musik checke oder in der Labelabrechnung nachlese. Hin und wieder guck ich auch in die Statistik und staune, wo auf der Welt meine Musik überall gehört wird. Gar nicht so sehr in meinem Heimatland, dafür viel in den USA, Kanada und Australien. Zusammen genommen sind es mehrere Millionen Menschen, die meine Musik einmal gehört haben, ist schon irre. Davon werde ich zwar nicht reich, aber es ist schon mehr als okay, könnte durchaus schlimmer sein. Ich bin nur immer wieder beeindruckt bis irritiert von der Diskrepanz zwischen regionalem Misserfolg und globalen Zugriffen, schon auch bissl schizzo.

Freue mich jetzt auf 3M als nächstes Etappenziel. Und wer weiß, vielleicht passiert doch noch ein Wunder und einer meiner anderen Tracks nimmt Fahrt auf, verdient hätten sie es alle! Wirklich.

Coming soon: „Hard Times“ (EP) – Grisu Biernat, Thilo Hofmann, Dennis Schütze

01. Grisu Biernat: „Weight on The Levee“ (Dan Timinsky)
02. Thilo Hofmann: „Broken Coastline“ (Down Like Silver)
03. Dennis Schütze: „I Could Do Wrong“ (Ian Fisher)
04. Grisu Biernat: „Salt And the Sea“ (The Lumineers)
05. Thilo Hofmann: „Through the Morning, Through the Night“ (Gene Clark)
06. Dennis Schütze: „Hard Times Come Again No More“ (Stephen C. Foster)

Grisu Biernat: voc, acoustic guitar; Thilo Hofmann: voc, electric bass; Dennis Schütze: voc, resonator & electric guitar, organ, melodica; Jan Hees: drums, percussion
Rec: Dennis Schütze, Thilo Hofmann; Mix & Master: Jan Hees

Erscheint im Dezember 2021

Out now: „And So It Goes / Michelle“ – Sandra Buchner

 

Ab sofort ist die Doppelsingle „And So It Goes / Michelle“ der Würzburger Sängerin Sandra Buchner auf allen gängigen Download- & Streamingportalen erhältlich (Amazon, Apple Music, Spotify, Youtube).

„And So It Goes“ stammt aus der Feder von Billy Joel und erschien erstmals als leter Tracks des Album „Stormfront“ (1989). „Michelle“ von Paul McCartney erschien erstmals auf dem „Rubber Soul“ der Beatles (1965). Beide Songs hier nun als andächtige Choräle für Stimme, Pumporgel & tiefes Becken. Rec, Mix, Master: Dennis Schütze (2021).

 

Highway Butterfly: The Songs of Neal Casal

Irgendwann Mitte der 90er, es könnte ’94 gewesen sein, hörte ich durch einen Zufall ein Solo-Konzert des US-amerikanischen Singer/Songwriters Terry Lee Hale. Es war im Freien auf einer klitzekleinen Bühne vor dem Gebäude der Neuen Welt, einem kleinen, aber traditionsreichen Folkklub in Ingolstadt und ich war ein junger, total abgerannter Student mit ziemlich ungewisser Zukunft. Eigentlich war ich gar nicht wegen ihm gekommen, aber seine knochigen Songs, seine reduzierte Performance und nicht zuletzt sein Outfit (Anzug, dazu Cowboystiefel & Deckhaar nach hinten zum Zopf gebunden) beeindruckten mich zutiefst und ich konnte einfach nicht weitergehen, hörte mir als einer von sehr wenigen Zuschauern das Konzert bis zum Schluss an. Als er sein Set beendet hatte, ging ich zu ihm, unterhielt mich mit ihm und wollte eine CD kaufen, hatte aber nicht genug Geld in der Tasche. Hale erkannte die Situation, nahm, was ich hatte und erließ mir den Rest. Sein Album „Tornado Alley“ wurde dann zu einem entscheidenden Wendpunkt für mein musikalisches Leben. Ich liebte das Album, hörte es wochenlang, Tag und Nacht, rauf und runter, spielte und sang die Songs nach, lernte die Texte, schrieb letztlich meine Diplomarbeit über seinen Spielstil und verfolge seine weitere Karriere bis heute. Was aber mindestens genauso entscheidend war: „Tornado Alley“ (und weitere Alben) erschienen auf einem deutschen (!) Label und wurde durch einen deutschen (!) Albumversand vertrieben. Ich wurde sofort Kunde bei Glitterhouse, bekam monatlich das pergamentdünne Heftchen geschickt und bestellte viele, viele weitere Alben. Anfangs gerne diverse Labelkompilationen „Out of the Blue 1-12“ oder „Luxury Liner 1-4“. Hier kam ich zum ersten Mal in Kontakt mit Musikern und Bands wie Hazeldine, The Walkabouts, Chris & Carla, Richard Buckner, Whiskeytown, Chris Burroughs, Lambchop u.v.a. mehr. Allerdings stach ein Musiker von allen für mich heraus: Auf „Luxury Liner 1“ war der allerletzte Track von einem Neal Casal und allein dieser eine Song haute mich echt um. Ich bestellte mir sein Debutalbum „Fade Away Diamond Time“, das erst bei Zoo, später dann bei Glitterhouse direkt erschien und dieses eine Album wurde zu Vorbild, Maßstab und Blaupause für alles, was ich unter eigenem Namen veröffentlichte, insbesondere für mein Debutalbum „2174“ (2004).

Damals war Casal aufgrund unglücklicher Umstände längst vom ursprünglichen US-Label fallen lassen geworden, musste sich als Independent Artist, zum Teil ohne feste Band durchschlagen. Mit seinem sensationellen Debut hatte er bewiesen, wozu er fähig war, wurde aber trotzdem um eine entsprechende Karriere und Anerkennung betrogen. Trotz dieses ungeheuerlichen Tiefschlags machte er weiter und weiter, schrieb Songs, machte Demos, produzierte Alben mit niedrigsten oder gar keinen Budgets, erspielte sich Publikum und Fans in Mittel und Nordeuropa, fernab seiner Heimat. Neben seinen Solo- und Ensembleprojekten (Hazy Malaze) spielte er in kommenden Jahren bei Lucinda Williams, Ryan Adams, Chris Robinson Brotherhood (CBR) und Circles Around the Sun, war quasi dauerhaft auf Tournee, wirkte mit bei unzähligen Aufnahmen, produzierte Alben anderer Künstler, nicht zuletzt überzeugte er als geschmackvoller Analogfotograf (s/w). Insgesamt veröffentlichte Neal Casal 12 Alben unter eigenem Namen, drei unter Hazy Malaze, vier unter Hard Working Americans, drei unter Circles around the sun u.v.a. mehr. Ich besitze und kenne sie alle.

Während meiner Afrika-Film-Reise im August 2019 erreichte mich die Kunde von einem Freund, dass Neal Casal Suizid begangen hat. Die Nachricht haute mich komplett aus den Latschen. Ich saß alleine mit einem Gecko in einem deprimierenden Resort irgendwo in Tansania in einer Rundhütte, war erschüttert und konnte nicht glauben, dass er einfach gegangen war. Zum Trost hörte ich in der folgenden Nacht mehrmals das komplette Album „Fade Away Diamond Time“ durch und es entschlüsselten sich mir etliche Textpassagen, die für mich zuvor keinen rechten Sinn ergeben wollten. Z.B. aus „Free to go“: „It must have something to do with letting go”, aus: „Maybe California”: “He spent his time like a dollar, lived is fast and lived free”, “Maybe Someday I‘ll see you“, “So may these pages bring your words to life”, aus “One Last Time”: “Let me kiss you one last time”, aus “These Days”: “Long may you run,… may you never go before your time has come”. Es klingt als hätte er diese Zeilen zu sich selbst gesungen. Über die näheren Umstände seines Todes wurde nichts bekannt. Es hatte zu dem Zeitpunkt aber den Anschein, als sei sein Energiereservoir für den unfassbar anstrengenden Lebenswandel verbraucht gewesen, als hätte er alle Hoffnungen aufgegeben. Für mich blieb der Eindruck als sei mit seinem freiwilligen Tod auch seine inspirierende Musik in irgendeinem tiefen Canyon verklungen.

Dann geschahen ein paar wunderschöne Dinge:

Am 12.10.2020 fand unter dem Titel „There’s a Reward: A Celebration of the Life & Music of Neal Casal” im Capitol Theatre, Port Chester, New York ein fast 6-stündiges Tribut- und Gedenkkonzert statt, initiiert und moderiert von Gary Waldman, mit musikalischen Gästen wie Chris Robinson, Steve Earle, Hazeldine und sehr vielen anderen.

Ab Mitte September 2021 erschien in wöchentlichem Abstand jeweils eine Episode des umfangreichen Podcast: „Highway Butterfly: The Stories of Neal Casal“, in den bisher 13 ca. ein-stündigen Episoden kommen musikalische Weggefährten wie der Organist John Ginty, der Musikmanager Gary Waldman, die Bluesgitarrenlegende Warren Haynes und der Studioingenieur Jim Scott zu Wort und erzählen ausführlich, unterhaltend und pointenreich von gemeinsam Erlebnissen um und mit Neal Casal.

Mitte November erschien die 41-Tracks umfassende Tribut-Kompilation „Butterfly Highway: The Songs of Neal Casal“ mit Musikern und Bands wie: Marcus King, Billy Strings, Susan Tedeschi, Kenny Roby, Warren Haynes, Puss N Boots, The Allman Betts Band, und vielen anderen mehr. Sehr, sehr hörenswert.

Zusätzlich wurde die Neal Casal Music Foundation gegründet: “A Foundation created to inspire future musicians und bring mental health support to musicians already on the path.” Man kann das Projekt mit Spenden und Käufen unterstützen. Im Onlineshop ist das Kompilationsalbum „Butterfly Highway“ in hochwertiger Pressung als 5-LP-Edition mit Zusatzmaterialien erhältlich, dazu Mützen, T-Shirts etc.

Trotz der unermesslichen Tragik seines Ablebens ist es durch dieses ungewöhnliche, kollektive Engagement gelungen die Musik und das Leben des großen Songschreibers, Sängers und Gitarristen Neal Casal gemeinsam und für andere zu würdigen, zu feiern und zu zelebrieren. Es kommt spät, aber es findet statt, seine Musik wird gehört, interpretiert, seine Lieder gespielt und gesungen. Seine wunderschönen Songs leben auf diese Weise weiter, in Setlisten, Konzerten, Aufnahmen, Videos, Produktionen, Podcasts, LPs, Texten, Webseiten, Blogs und den Herzen seiner Bewunderer. Ich denke, das hätte ihm gefallen. Danke, Neal Casal.

Noten: „Guitar Book“ von Sigi Schwab

In den 1980er Jahren führte für deutsche Nachwuchsgitarristen kein Weg vorbei an Sigi Schwab. Der deutsche Gitarrist und Komponist, geb. 1940 in Ludwigshafen, war Gitarrist der RIAS Big Band in Berlin, arbeitete als Studiomusiker in ganz Deutschland, komponierte Fernseh-, Film- und Bühnenmusik. Ab 1980 spielte er mit dem Diabelli-Trio (Wiener Klassik), im Duo Guitarissimo mit dem österreichischen Gitarristen Peter Horton und mit der Percussion Academia. Bereits in den späten 1970er Jahren veröffentlichte er die dreibändige Heftreihe „Folkpicking für Fingerstyle Guitar“, die für viele deutschsprachige Gitarristen einen detailliert ausgearbeiteten Einstieg in seine persönliche, vom nordamerikanischen Fingerpicking geprägte Spielweise bot. Nach einem ereignisreichen und einflussreichen Berufsleben als Musiker und Gitarrist hat Schwab nun im Alter von 80 Jahren den großformatigen Band „Guitar Book“ mit 30 Solo-Arrangements von Klassik bis Jazz mit Fotos und erklärenden Texten vorgelegt. Es ist sein notiertes und kommentiertes gitarristisches Vermächtnis. Weiterlesen