Reise: Wien (2015), Teil 1

Ab Montag habe ich einige wunderschöne, sonnige Tage in Wien verbracht. Hinfahrt direkt ab Würzburg mit dem ICE und übernachtet wurde bei einer befreundeten Familie (Danke!). Nach der Ankunft am HBF sind wir nach einem kleinen Umweg in die U-Bahn in den zweiten Bezirk gefahren und haben uns dort zur „Schönen Perle“ durchgefragt, einer ziemlich wienerischen Gastwirtschaft, Wiedersehen mit einer weiteren Urlaubsbekanntschaft, bodenständiges Essen, danach ein paar Straßen weiter zur Unterkunft. Dort waren wir aber nur kurz, denn für den Abend waren bereits Karten im berühmten Musikverein am Karlsplatz gebucht, romantisches Soloklavier mit Leif Ove Andsnes.
IMG_3589IMG_3591IMG_3597Bürgerliche Konzertkultur des späten 19. Jahrhunderts in präservierter Reinstform. Internationales und wienerisches Publikum, bestuhlt bis auf die Bühne, ganz hinten die günstigen Stehplätze bei denen einige Säulen den Blick versperren. Schon alles beeindruckend, aber gleichzeitig auch atemberaubend rückwärts gewand, fast so, als hätte das 20. Jahrhundert nie stattgefunden. Hier werden etablierte Weltbilder bestätigt, Innovation, Wagnis, Fortschritt, Risiko oder Revolution erwartet wohl kaum jemand. So gesehen wiederum sehr typisch für die österreichische Hauptstadt, besonders in diesen Tagen. Zurück wieder mir der U-Bahn, es geht alles ganz flott, Wien ist in der Innenstadt kleiner als man denkt.
Am zweiten Tag (Di) zu Fuß in den ersten Bezirk. Richtung Donaukanal begegnet man im zweiten Bezirk immer wieder orthodoxen Juden, in schwarz gekleidet, mit Bart, Schläfenlocken und großem Hut. Ich fühle mich jedes Mal sehr unwohl und senke den Blick. Woran liegt das? Daran dass ich Deutscher bin? Nein, stelle ich fest, es hat damit zu tun, dass ich mich ungern in der Nähe von religiösen Fundamentalisten aufhalte, wäre bei Islamisten oder christlichen Fanatikern genauso, nur ist deren Extremismus nicht immer gleich zu erkennen.IMG_3605Rotenturmstraße, Stephansdom, Graben, Stippvisite zu Doblinger (Notenfachgeschäft), Kohlmarkt, Demel, Michaelerplatz, Spanische Hofreitschule, Hofburg, Naturhistorisches Museum und weiter bis zum Museumsquartier, leider war Dienstag, da sind alle Museen geschlossen.
IMG_3608IMG_3615Mittagssnack im MQDaily (günstig & gut), Burggarten, Palmenhaus, Kärntnerstraße und wieder zurück in den Zweiten, da war der Tag fast rum bzw. die Sonne untergegangen.
IMG_3630Abends bin ich noch mit der U-Bahn zu Matthew E. White in die „Grelle Forelle“ an der Spittelauer Lände. White kam mit einem zweiten Gitarristen, aber ohne Band, auf die Bühne. Bis auf die Randy Newman-Interpretationen kannte ich keinen einzigen Song, klang gut, aber alles ziemlich ähnlich, er singt einnehmend, aber monoton und unvariabel, nicht gut oder schön, bin trotzdem froh, dass ich da war. Habe am selben Tag Calexico verpasst, das merkte ich aber erst viel später.IMG_3653

Literatur: Neben den vielen, nützlichen Tipps unserer Gastgeber kamen zu Einsatz: „101 Wien – Geheimstipps und Top-Ziele“ von Iwanowski’s, „Wien“ von Marco Polo und „Wien“ von Dumont. Alle sehr empfehlenswert.

Video: „Allemand“ von Johann Pachelbel für Ukulele & Gitarre

Mit einem Tag Verzögerung wurde heute das Video zur „Allemand“ von Johann Pachelbel in einer Transkription für Ukulele und Gitarre eingestellt. Der Würzburger Ukulelespieler Roland Völker hat eine fünfsätzige Suite für Cembalo des fränkischen Barockkomponisten ausgewählt und in einem zeitaufwändigen Prozess für eine Duoversion in Noten und Tabulatur umgeschrieben. Das Einstudieren der einzelnen Sätze hat dann nahezu ein dreiviertel Jahr in Anspruch genommen. Nach vielen wöchentlichen Treffen war die Erarbeitung dann soweit gediehen, dass im vergangenen Juli eine Film- und Recordingsession im Tiepolo Keller, Würzburg angesetzt werden konnte und auch erfolgreich vonstatten ging. Sichtung, Schnitt und Abmischung haben dann noch mal etwas Zeit in Anspruch genommen und so hat uns diese Komposition summa summarum fast ein komplettes Jahr lang beschäftigt. Da fällt es dann am Schluss fast etwas schwer loszulassen und sich neuen Zielen zuzuwenden, vielleicht ist das eine Erklärung für die Verzögerung. Die vier weiteren Suitensätze werden im Lauf des Novembers gemäß der Satzfolge jeweils immer zum Wochenende eingestellt. Viel Spaß damit, wir freuen uns über Feedback! Ach ja: Neue Inhalte sind bereits in Arbeit.

Jack White: Drumming, Technique, Design, Discussion

Jack White ist Sänger, Songschreiber, Gitarrist, Produzent, Labeleigner und nicht zuletzt auch Schlagzeuger in der Band The Dead Weather. Anlässlich des soeben erschienen Albums „Dodge and Burn“ wurden vier Videos veröffentlicht in denen jeweils jedes Bandmitglied einzeln sein Instrumentarium, Spielweise und generellen Ansatz auf kunstvolle Weise darlegt.

Ganz groß natürlich schon wie Jack White in seinem Video gleich zu Beginn die Wichtigkeit der Bassdrum überbetont (aber er hat ja Recht), in seinem Fall eine 26“ Trommel, quasi die Mutter aller Basstrommeln mit Draculas Bräuten als Verzierung auf dem vorderen Fell. Dann sein sehr eigener Setup des Kits: 2×16“ Snare Drum (einmal mit einmal ohne Drähte) plus einmal hoch gestimmte Marching Drum auf der linken Seite und drei Floor Toms auf der rechten Seite, dazu ein Splash-Becken, 16“ Crash und ein 26“ (ja, 26“!) Ride. Und aus diesem 3x3x3 Setup destilliert White seinen inzwischen unverkennbar originellen Drumsound, erstmals zu hören und zu sehen auf „Another Way to Die“ (James Bond Soundtrack mit Alicia Keys). Es macht große Freude das neue Album mit diesem Wissen durchzuhören. Man kann White quasi vor dem inneren Auge trommeln sehen. Aber seht und hört selbst, here you go:

Buch: „Trauer ist eine lange Reise“ von Georg Koeniger

Trauer(Buch)Georg Koeniger ist Schauspieler und Kabarettist und hat in den vergangenen Jahren zwei Bücher über seine Outdooraktivitäten als Kletterer und Radler veröffentlicht. Im September 2012 erkrankte seine Frau – sportlich, kerngesund und Nichtraucherin – unheilbar an Lungenkrebs. Die folgenden Monate sind geprägt vom gemeinsamen Kampf mit allen Mitteln, beide haben die Hoffnung die Krankheit zu besiegen, aber es gibt auch immer mehr Rückschläge und der Krebs schreitet gnadenlos und unaufhaltsam voran. Koeniger begleitet und pflegt seine sterbende Frau bis zum bitteren Ende. Einige Zeit nach ihrem Tod geht er dann um Abschied zu nehmen auf eine Reisetour, die eigentlich sie sich vorgenommen hatte. Er fährt mit dem Fahrrad von Würzburg in knapp fünf Wochen auf dem Jakobsweg zum Wallfahrtsort Santiago de Compostela in Nordspanien. Weiterlesen

Buch: „Fake“ von Peter Köhler

FakePeter Köhler ist Journalist und Buchautor im Bereich Satire, Kulturgeschichte, Literaturkritik und Schach. Im August erschien sein Buch „Fake“ als Taschenbuch, es geht darin laut Untertitel um „die kuriosesten Fälschungen aus Kunst, Wissenschaft, Literatur und Geschichte“. Nach einem knappen, nicht sehr prägnanten Vorwort erzählt Köhler in mehr als 60 Kurzkapiteln die unzusammenhängende Geschichte von Fälschungen jeglicher Coleur und lässt dabei kein noch so wackeliges Beispiel aus. Geschichtsfälschung, Urkundenfälschung, Hitlertagebücher, Erschleichung akademischer Titel, Ideenklau in Musik und Malerei, Betrug im Sport, Heiratsschwindler, Trickbetrüger, sogar die „Würzburger Lügensteine“ haben ihren Platz. Weiterlesen

Musikstudenten: „I’m Yours“

Bereits Anfang April 2015 erschien die Musikstudenten-EP „Pop Studies“. Es wurden zu dieser Veröffentlichung wieder mehrere Musikvideos abgedreht und anschließend in fast monatlichem Turnus ins Netz gestellt. Zwei Songs der EP blieben allerdings unverfilmt, einer davon ist „I’m Your’s“ im Original von Jason Mraz. Hier nun die Gelegenheit via Soundcloud mal reinzuhören. Wir haben die Nummer mit Klarinette, Kontrabass und kleinem Drumset instrumentiert, zum Ende hin erklingt ein sechs-stimmiger Dennis-Schütze-Chor. „Open up your mind and see like me!“

Buch: „Alles ist gut“ von Helmut Krausser

AlleIstGutHelmut Krausser ist ein vielseitiger und fleißiger deutscher Schriftsteller, Dichter und Komponist. Seit 1989 verfasste er allein 13 Romane, mehrere Erzählungen, diverse Gedichtsammlungen, schrieb Bühnenwerke, Opernlibretti, Hörspiele, Tagebücher und Liedtexte. Darüber hinaus betätigt er sich als Komponist zeitgenössischer Kunstmusik und ambitionierter Schach- und Backgammonspieler. Für einige seiner literarischen Arbeiten wurde er mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Im August 2015 erschien nun im Berlin Verlag sein neuester Roman „Alles wird gut“, der als Fortsetzung seines großen Erfolgs „Melodien“ (1993) angekündigt worden war, dessen Kenntnis aber keine Voraussetzung für die Lektüre der Neuerscheinung ist. Für diesen zweiten und abschließenden Teil hat sich Krausser mehr als 20 Jahre Zeit genommen, man kann aber wirklich nicht behaupten, dass er in der Zwischenzeit untätig gewesen wäre. Mit „Alles ist gut“ legt er einen äußerst originellen, eigenwilligen und phantasievollen Künstler-, Beziehungs- und Gesellschaftsroman vor.

Die Geschichte beschreibt einen entscheidenden Moment im Leben des verkannten Komponisten Marius Brandt. Ihm werden auf geheimnisvollen Wegen Notenblätter mit Melodiefragmenten zugespielt, die sein Interesse erwecken und die er in seine eigenen Kompositionen einarbeitet. Bei darauf folgenden Aufführungen werden damit im Konzertsaal unerwartet extreme Reaktionen auslöst, einige Hörer und auch andere Personen kommen dabei ums Leben. Neben dieser mysteriösen, äußerst spannenden Hauptgeschichte geht es nebenbei auch noch um das Verhältnis zu seiner amerikanischen Freundin June, seine ohnmächtige Position innerhalb des deutschen Musikkulturbetriebs, seine kulturpolitischen Ansichten (Zwölftonmusik, Adorno, Donaueschingen) und kompositionstechnische Arbeitsweisen der Hauptfigur Brandt. In einer Parallelhandlung wird über mehrere Jahrhunderte hinweg in der Erzählweise eines historischen Romans die voltenreiche Überlieferungsgeschichte der erwähnten Melodienaufzeichnungen erzählt. Die verschiedenen Handlungsstränge münden am Schluss in ein spektakuläres, surreales Finale. „Alles ist gut“ ist im besten Sinne ein inspirierter und inspirierender post-moderner Roman, der neben der hochamüsanten und fesselnden Geschichte einige sehr intelligente und meinungsstarke Exkurse abhandelt. Krausser zieht alle Register seines schreiberischen Könnens und brilliert mit überwältigendem Sprachwitz, geistreichem Storytelling, wohl platzierter Musikbetriebskritik und darüber hinaus mit einem tadellosen, sehr einnehmenden Stil. Kleine Leseprobe:

„Wenn man fleißig ist, kann man an einem Tag eine Minute Musik für kleines Orchester schreiben. Na, seien wir ehrlich. Wenn man richtig fleißig ist, also unter dem Einfluss von Drogen und Folterknechten steht, kann man auch zehn Minuten schaffen. Im Falle von Minimal Music wären es noch einige mehr, weil man vieles mit einem einzigen Mausklick kopieren kann. (…)“ (S. 27)

Fazit: Der Roman ist selbstbewusst, treffsicher, eigenständig, kurios, frech, mutig, verwirrend, psychologisch, narzisstisch, temporeich, drastisch, brutal, energisch und genau deswegen sehr empfehlenswert, für Kenner, Komponisten und Musiker Neuer Musik vermutlich besonders mitreißend bzw. amüsant.

„Alles ist gut“ erscheint im Berlin Verlag, hat 240 Seiten und kostet gebunden 20 €.

Buch: „Das grosse Orchester der Tiere“ von Bernie Krause

OrchesterTiereBernie Krause ist ein US-amerikanischer Musiker und Naturforscher. Er studierte Violine und klassische Komposition, war als Gitarrist in Folk- und Popkreisen unterwegs (Weavers, Doors, Steve Wonder, George Harrison) und wendete sich im Anschluss daran elektronischer Musikerzeugung und der Mitarbeit an diversen Soundtrack (z.B. „Apocalypse now“) zu. Mitte der 1970er Jahre ging Krause an die Universität zurück und promovierte über Bioakustik. Auf seinen Weltreisen hat er in den letzten Jahrzehnten bei Feldaufnahmen mehr als 15.000 Arten und 4000 Stunden Soundscapes verschiedener Habitate aufgenommen, von denen die Hälfte heute nicht mehr existiert. „Das große Orchester der Tiere“ trägt den Untertitel „Vom Ursprung der Musik in der Natur“ und erschien im englischen Original 2012 unter dem Titel „The Great Animal Orchestra“. Die gebunden Ausgabe erschien ein Jahr später bei Antje Kunstmann, im April 2015 ist das Buch nun als günstige Taschenbuchausgabe unter Lizenz von National Geographic bei Malik erschienen. Weiterlesen