Wie im Fieber: Country, Blues, Jazz, whatever

Am letzten Donnerstag war ein Konzert der Dennis Schütze Combo bei Vischers Blues Jam in Nürnberg angesetzt. So weit, so gut, schöne Aussichten könnte man meinen, hätte mich nicht zwei Tage vorher ein fieses, fränkisches Fieber niedergestreckt. Im Laufe des Dienstags dachte ich noch, komisch, geht alles ganz schön schwer heute, Kopf dröhnt, Hals schmerzt, liegt sicher am Klimawandel, am Feinstaub, am Ozon oder irgendwas. Abends brach dann das Fieber aus und es war klar, dass das jetzt in Sachen Rekonvaleszenz ziemlich knapp werden würde (48h). Von Di auf Mi plagten mich schlimmste Fieberschübe inkl. gruseliger, sich mit kleinsten Varianten immer wiederholende Albträume, aus denen ich schweißgebadet erwachte, um kurz danach wieder in einen komatösen Schlaf zu sinken. Mittwoch verbrachte ich fast komplett im Bett, in der Nacht auf Do das gleiche nochmal, 12h unruhiger Schlaf, langsam taten die Knochen weh. Leicht dehydriert und von Appetitlosigkeit geschwächt erwachte ich am Do, es ging mir längst noch nicht besser. Ich stand kurz davor den ersten Auftritt meines Lebens wegen Krankheit abzusagen, fiel dann aber – mit 39 °C Köpertemperatur – wieder zurück in einen bleiernen Tiefschlaf von dem ich erst am frühen Nachmittag erwachte. Telefonisch zögerte ich die Abfahrt zeitlich noch etwas hinaus und teilte meinen Mitmusikern mit, dass ich während der Hinfahrt vermutlich nicht ansprechbar sei. Ich duschte, packte meine Sachen und wurde am frühen Abend von meinem treuen Bassisten abgeholt. Im Regen/Schneematsch-Sturm kämpften wir uns über die Autobahn bis nach Nürnberg zum Vischers. Hatte vor der Abfahrt noch ein Ibuprofen eingeschmissen, irgendwie fühlte ich mich bei der Ankunft schon besser, vielleicht war es aber auch der sehr nette Empfang der Crew vor Ort inklusive Vischers Fritz und seinen wackeren Matrosen. Bühne und Technik war schon aufgebaut, ich packte die Gitarre aus, stöpselte ein, kurze Verschaufspause, das Publikum traf ein, nahm Platz, ich schmiss zur Sicherheit noch eine Pille ein und es ging los. Hatte mir vorgenommen im ersten Set sehr defensiv zu singen, bei den ersten beiden Songs klappte das auch noch, dann spürte ich wie ich einen Energieschub bekam, Zurückhaltung konnte ich nun getrost ablegen. Die Band, das Publikum, die Drogen, keine Ahnung was es genau war, aber auf einmal hörte ich jeden Ton wie in 3D, Atmung war frei, Stimme lief wie geölt und mit jedem Song besser. Jochen hatte einen geilen Sound, Camilo spielte lächelnd den Kontrabass und machte dazu seine typischen Tanzschrittchen auf kleinstem Raum. Zur Pause war ich total durchgeschwitzt, 15 Minuten ausruhen, ein frisches Getränk (und T-Shirt) und weiter ging’s.

Vischers2016Foto: Axel Scherm

Wir spielten mit enormer stilistischer Breite von Folk, Country, Blues, Westcoast- & Southern Rock bis zu Psycho- & Paranoiabilly. Große dynamische Spannbreite, Luft zum Atmen, ungefähr gleiche Anteile von vorbereiteten Arrangements und ausgedehnten, zum Teil sehr freien Improvisationen, poetische Klangtexturen, donnernde Verzerrungsorgien, you name it. Wir berauschten uns am eigenen Spiel, das Publikum war auf unserer Seite, so muss es sich anfühlen, wenn Musiker und Zuhörer zu einer Einheit verschmelzen. Vielleicht war es aber auch nur das mit chemischen Mitteln runter gedrückte Fieber und die Drogen, die zusammen genommen eine solch ungewohnte euphorische Ekstase in mir auslösten (Alkohol war nicht im Spiel).
Was auch immer wirklich geschehen sein mag an diesem Abend, nach dem Ende des zweiten Sets und einer Zugabe, gingen wir hochzufrieden und als gefeierte Gladiatoren von der Bühne des Clubs. Wir waren als Country Combo angekündigt gewesen und hatten in Vischers Blues Jam gespielt. Danach kam ein Vertreter eines renommierten Nürnberger Jazzclubs und fragte, ob wir 2017 bei ihnen spielen wollen, es hätte ihm so gut gefallen. Country, Blues, Jazz, whatever. Danke Nürnberg, wir stehen bereit.

PS: Heute geht’s mir schon wieder besser.

Phantom: Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)

IMG_3664Anfang November letzten Jahres war ich für einige Tage zu einem Städtebesuch in Wien und habe dort u.a. das „Haus der Musik“ besucht. In der Ausstellung gibt es viel Wiener Philharmoniker und natürlich Wiener Klassik zu besichtigen. Ein kompletter Raum ist dem österreichischen Originalgenie Wolfgang Amadeus Mozart gewidmet. Ziemlich interessant war ein Phantombild Mozarts, das anscheinend von einem deutschen BKA auf Basis von Gemälden, Beschreibungen, etc. erstellt wurde. Ich habe dieses Phantombild lange betrachtet und auch ein Foto davon gemacht. Habe immer noch das Gefühl, dass das Portrait mich an irgendjemanden erinnert, aber an wen bloß? Habt ihr eine Idee?

Noten: „Mozart for Guitar“ von Martin Hegel (Hg.)

MozartForGuitarWolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) ist zweifelsohne der bedeutendste und einflussreichste Komponist der Wiener Klassik. Bedauerlicherweise sind in seinem umfangreichen Schaffen keine Werke für Laute oder Gitarre überliefert. Es finden sich allerdings deutliche Einflüsse seines musikalischen Stils in den Werken prominenter nachfolgender Komponisten für Gitarre. Carulli, Diabelli, Giuliani, Mertz und Sor erhoben Mozarts hochentwickelte Klangsprache noch Jahrzehnte nach dessen Ableben ganz offenkundig zu einem erstrebenswerten Ideal und würdigten ihn in unzähligen Transkriptionen, Themenvariationen und Stilkopien. Weiterlesen

Kochbuch: „Das Lexikon der Aromen- und Geschmackskombinationen“ von Karen Page & Andrew Dornenburg

AromenKaren Page und ihr Ehemann Andrew Dornenburg sind ein preisgekröntes Kochbuchautorenteam aus den USA. Sie treten im amerikanischen Radio und Fernsehen auf und sind offensichtlich auch erfolgreiche Selbstvermarkter. „The Flavor Bible“ erschien erstmals 2008 im englischen Original. 2012 erschien es in deutscher Übersetzung, 2014 erschien nun die zweite, unveränderte Auflage im Verlag.  Weiterlesen

Musikgeschichte: Ludwig van Schütze

IMG_3132Letztens saß ich mit einem meiner jüngeren Ukuleleschüler beim Unterricht in einem Zimmer meiner Privatwohnung. Wir hatten zu Beginn der Stunde ein paar ältere Stückchen wiederholt, er hatte brav die Melodien gespielt und ich zur Begleitung ein paar Akkorde darunter gelegt. Während ich ihm im Anschluss die neue Hausaufgabe anspielte, sah ich im Augenwinkel wie sein Blick abschweifte, zuerst von dem Ukulelenheft auf dem Notenpult rüber zum Tisch, von da aus über die Tastatur des Klaviers zu einen Stapel kopierter Noten, der ungeordnet darauf lag, schließlich bis zu der gerahmten Portraitzeichnung an der Wand darüber, auf der mein Urgroßvater Ludwig Hermann Schütze abgebildet ist. Hier blieb sein Blick hängen und verharrte. Ich hatte die ganze Zeit weitergespielt, beobachtete derweil seinen etwas müde gewordenen Blick und fragte mich, was ihm wohl gerade durch den Kopf ging. Ich kam zum Ende des kleinen Musikstücks. Nachdem der Schlussakkord verklungen war, betrachtete er immer noch, ganz in Gedanken versunken das Bild meines Urgroßvaters und ich fragte in die entstandenen Stille hinein: „Weißt du, wer das ist?“
Mein Schüler drehte seinen Kopf zu mir, zuckte mit den Schultern und sagte arglos: „Weiß nicht, Ludwig van Beethoven?“

Video: „Eisbär“ von Du & Ich

Im letzten Sommer erschien das Album „NDW – Wiederbesucht“ des Studioprojekts Du & Ich. Produziert und eingespielt wurden die insgesamt neun Tracks von Camilo Goitia und mir, Dennis Schütze. Kurz danach erschien das von Ralf Schuster produzierte Musikvideo „Da Da Da“.

In diesem Monat wurde wöchentlich ein ausgewählter Track des Albums als Fotovideo veröffentlicht und präsentiert, zum Abschluss der Reihe heute unsere Interpretation des arktischen Klassikers „Eisbär“ von Grauzone aus dem Jahr 1981. In der Vorlage ist es eine minimalistisch/post-punkige Songkomposition mit einem gewagten Free Jazz-Solo zum Schluss hin. In unserer Version ein Sopransaxophonsolo von Fritz Wenzel aus Schweinfurt, die One-Note-Gitarrensolos stammen von Produzent und Sänger Dennis Schütze. Zieht euch eine gefütterte Polarjacke über und hört selber rein!

Fotoband: „Masuren“ von Dirk Bleyer & Mia Raben

MasurenDirk Bleyer ist Fotojournalist und Reiseerzähler. Soeben wurde ein prächtiger Fotoband von ihm bei National Geographic veröffentlicht, der sich mit dem polnischen Landstrich Masuren beschäftigt. Die darin enthaltenen Fotos stammen von Bleyer und seiner Frau Anete Szydlak-Bleyer (die allerdings nur Impressum erwähnt wird), die durchaus ansprechenden Texte stammen von der Autorin Mia Raben. Weiterlesen

Video: „Rock Me Amadeus“ von Du & Ich

Im letzten Sommer erschien das Album „NDW – Wiederbesucht“ des Studioprojekts Du & Ich. Produziert und eingespielt wurden die insgesamt neun Tracks von Camilo Goitia und mir, Dennis Schütze. Kurz danach erschien das von Ralf Schuster produzierte Musikvideo „Da Da Da“.

In diesem Monat werden jeden Mittwoch ausgewählte Tracks des Album als Fotovideos veröffentlicht, heute unsere Interpretation des Falco-Klassikers „Rock Me Amadeus“ von 1985. Im selben Jahr erreichte es die Spitzenplatzierung in den US-amerikanischen Billboard Charts und der UK Top 40. „Rock me all the time to the top!“

Buch: „Der Zauberer“ von Lila Azam Zanganeh

NabokovLila Azam Zanganeh wurde in Paris geboren, wuchs als Tochter iranischer Emigranten in Frankreich auf und studierte an der renommierten École Normale Supérieure. Sie schrieb feuilletonistische Artikel für New York Times, Paris Review und Le Monde. 2011 erschien ihr Buch „The Enchanter: Nabokov and Happiness“. 2015 erschien die deutsche Übersetzung „Der Zauberer: Nabokov und das Glück“ in deutscher Übersetzung bei Büchergilde Gutenberg. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es ist ein sehr eigenständiges, ungewöhnliches Buch. Die Autorin erzählt auf sehr persönliche und poetische Weise von ihrer Begegnung mit den Texten des russisch-amerikanischen Autors Vladimir Nabokov (Autor von z.B. „Lolita“). Sie erforscht die eigene Verzauberung und Faszination durch eine genaue Inaugenscheinnahme seiner Texte, seiner Biographie, seines Privatlebens, interpretiert Fotos, besucht Schauplätze, trifft im Verlauf auf seinen Sohn Dmitri, den sie ausführlich befragt. Heraus kommt dabei eine äußerst individuelle Annäherung an einen ambivalenten Autoren, der in diesem Buch nahezu selbst zur literarischen Figur stilisiert wird.

Zanganeh bleibt dabei durchaus immer respektvoll, der Text ist sicherlich etwas besonderes, allerdings wirkt der Blickwinkel passagenweise etwas arg narzisstisch, wie eine Nabelschau, die Obsession wirkt dann mächtiger als das Objekt der Begierde selbst, das muss man mögen, kann aber, wenn man sich darauf einlässt, durchaus gefallen.

Das Buch erscheint bei Edition Büchergilde, hat 240 Seiten und kostet gebunden 22,95 €.

Aufsatz: My Favourite Tracks – Meine allerliebsten Lieder, Teil 2

von Dennis Schütze
Erschienen in der Schriftenreihe “Lied und populäre Kultur” (59. Jg., 2014) des Zentrums für Populäre Kultur u. Musik zum Thema “Lieder/Songs als Medien des Erinnerns“

Produktionsjahre der Tracks in Relation zum Lebensalter

Weil neben dem Produktionsjahr der Tracks auch das Lebensalter der Talk-Gäste zum Zeitpunkt des Interviews ermittelt wurde, ist es möglich, diese Daten miteinander in Beziehung zu setzen. In einem ersten Schritt wurde für alle 510 Tracks das individuelle Alter eines Talk-Gastes bei Erscheinen eines Tracks ermittelt (Lebensalter minus Produktionsjahr). Hier war in einigen Fällen ein negatives Ergebnis möglich, wenn das Produktionsjahr vor dem individuellen Geburtsjahr lag. Die Verteilung der Produktionsjahre aller Tracks in Relation zum individuellen Lebensalter wird in Diagramm 3 dargestellt.

MFTGrafik4Diagramm 3: Verteilung der Produktionsjahre der Tracks in Relation zum Lebensalter (relativ)

Es ist bei der Gesamtbetrachtung deutlich zu erkennen, dass von den Talk-Gästen nur wenige Tracks mit einem Produktionsjahr gewählt wurden, das vor dem eigenen Geburtsjahr liegt. Die erste bemerkenswerte Anzahl von Track-Nennungen findet um das eigene Geburtsjahr (-1 bis 1) statt, ab dem fünften Lebensjahr steigert sich die Anzahl der Nennungen und im Alter von 15 Jahren ist ein erster Höhepunkt zu verzeichnen (16 Nennungen). Einen bemerkenswerten Einbruch kann man im Alter zwischen 24 und 28 erkennen, danach pegelt sich die Kurve auf stabile Werte um durchschnittlich ca. 10-11 Nennungen pro Jahr ein. Die immer weiter abfallende und im weiteren Verlauf ausfransende Kurve ab dem Lebensalter 45 ist zum Teil damit zu erklären, dass einige der Talk-Gäste das entsprechende Lebensalter noch nicht erreicht hatten. Es bleibt festzustellen, dass die Produktionsjahre der individuellen Track-Auswahl in der Regel kurz vor der eigenen Geburt einsetzen, in den Lebensphasen 12-22 und 28-38 ihre Spitzenwerte erreichen und danach abflachen. Tracks, deren Produktionsjahr vor dem eigenen Geburtsjahr liegt, scheinen für eine persönliche Biographie nur in sehr wenigen Ausnahmefällen eine besondere Bedeutung zu haben.

Diese Erkenntnis lässt sich auch durch eine weitere Darstellung erhärten. Betrachtet man das Produktionsjahr der Tracks in Relation zum Lebensalter pro Talk-Gast, so lassen sich individuelle Minima, Maxima und eine zeitliche Spanne der Produktionsjahre der Tracks in Relation zum individuellen Lebensalter darstellen (Diagramm 4).

MFTGrafik2Diagramm 4: Verteilung der Produktionsjahre der Tracks pro Gast in Relation zum Lebensalter (relativ)

Im Vergleich der Talk-Gäste untereinander sind zum Teil beträchtliche Varianzen zu erkennen. Bei den Minima sind zweistellige Negativwerte, also Produktionsjahre die zehn oder mehr Jahre vor dem eigenen Geburtsjahr liegen, die deutliche Ausnahme (5/51). Bezeichnenderweise sind es tendenziell die jüngeren Talk-Gäste, die diese seltenen negativen Werte erreichen. Sie haben aufgrund ihres jungen Lebensalters die Möglichkeit, auf eine große Anzahl von Tracks zurückzugreifen, die deutlich vor ihrem Geburtsjahr produziert wurden, und können somit auf Werte individueller Minima kommen, die von älteren Talk-Gästen aufgrund ihres weit zurückliegenden Geburtsjahres so gut wie gar nicht erreicht werden können. Es gibt nun mal nur eine sehr eingeschränkte Auswahl von Tondokumenten aus dem 19. oder beginnenden 20. Jahrhundert.
Die Jüngeren sind dagegen im Bereich der Maxima deutlich beschränkt, weil der Wert des Produktionsjahres in Relation zum Lebensalter das Alter zum Zeitpunkt des Talks rein rechnerisch nicht übertreffen kann. Hier haben wiederum die Älteren aufgrund ihres höheren Lebensalters die Möglichkeit, auf Werte der Maxima zu kommen, die von jungen Talk-Gästen gar nicht erreicht werden können. Im Bereich der Maxima werden mehrfach Werte über 50 (15/510), dreimal gar Werte über 60 (3/510) erreicht, d.h. 15 Talk-Gäste waren zum Zeitpunkt der Produktionsveröffentlichung ihrer jüngsten Tracks bereits 50 Jahre oder älter.
Aus den Minima und Maxima pro Talk-Gast lässt sich abschließend die Spanne der Produktionsjahre einer Auswahl in Relation zum individuellen Lebensalter berechnen und darstellen. Hieraus kann man unabhängig von musikstilistischen Faktoren die Breite des zeitlichen Bogens ablesen, den ein Talk-Gast mit seiner Auswahl in Relation zu seinem Lebensalter gespannt hat. Die Ergebnisse reichen von einer zeitlich eng begrenzten Spanne von 7 Jahren bis zu einer zeitlichen Ausdehnung von 72 Jahren, also nahezu einem Dreivierteljahrhundert. Der Durchschnitt der zeitlichen Spannen aller 51 Talk-Auswahlen beträgt 37 Jahre.

Diversität der Datenformate und Trägermedien
Mediengeschichtlich interessant ist in welchen Datenformaten und auf welchen Trägermedien die Talk-Gäste ihre ausgewählten Tracks mitbrachten. Es gab dazu keine technischen Vorgaben und es wurde ausnahmslos versucht, die angelieferten Datenformate und Trägermedien vorbehaltlos und ohne Formatanpassung zu präsentieren. Durch diese puristische Herangehensweise wurde mitunter bereits das einfache Abspielen der Tracks zur technischen Herausforderung, weil entsprechende Gerätschaft erst organisiert und aufgebaut werden musste. Von der Vinylschallplatte (Single, LP, Klangfolie) und Magnettonbändern (Schnürsenkel, Kompaktkassette), über VHS-Videos, Compact Discs (original & selbstgebrannt) und MiniDisc, bis zu MP3s (iPods, Laptops, Mobiltelefone) war alles dabei. In den letzten Jahren gab es zusätzlich von Beamern projizierte Video-Tracks und Musikclips von DVD, Festplatte oder als Stream aus dem Internet. Einige Tracks wurden im Verlauf der neun Staffeln auch live mit Playback oder Begleitung (Piano, Gitarre, Ensemble) performt. Bei den allermeisten Talk-Abenden handelte es sich aber um eine Kombination mindestens zweier oder aber auch mehrerer verschiedener Datenformate und Trägermedien. Den Talk-Gästen kann somit insgesamt und altersübergreifend ein unverkrampfter Umgang mit sowohl klassischen als auch zeitgenössischen Medien attestiert werden. Legt man die Erfahrungen dieser Talkshow-Reihe zugrunde, so ist unsere Gesellschaft von standardisierten Speicher- und Wiedergabemedien für Tonträger weiter entfernt denn je.

Schlusswort
Unter den 51 Talk-Gästen, die sich und ihre Favourite Tracks der Öffentlichkeit präsentierten gibt es einige soziokulturelle Gemeinsamkeiten. Alle sind kulturell engagiert, stehen in der Öffentlichkeit, befinden sich in einem mittleren oder vorangeschrittenen Lebensalter, leben in derselben fränkischen Universitätsstadt, besitzen eine deutsche Staatsangehörigkeit, verfügen über ein vergleichbares Bildungsniveau und haben ein respektables berufliches Wirkungsfeld gefunden. Trotz dieser wesentlichen Gemeinsamkeiten überraschte die Gesamtheit der Track-Auswahlen auf den ersten Blick durch ihren hohen Grad an Diversität. Den Mehrfachnennungen von klassischen Komponisten liegen jeweils verschiedene Werke zugrunde. Es gibt nur wenige direkte oder indirekte Dopplungen (4 bzw. 2) von einzelnen Tracks. Musikstilistisch reichen die gewählten Tracks von Klassischer Musik über Modern Jazz, Pop/Rock und World Music bis zu Elektronischer Musik und zeitgenössischer Klassik. Die Produktionsjahre umfassen in etwa die Jahre 1956 bis 2010 (Diagramm 2). In Bezug auf das individuelle Lebensalter beginnt eine Auswahl oft mit dem eigenen Geburtsjahr (Diagramm 4) und endet in aller Regel kurz vor oder zum Zeitpunkt des Interviews, beinhaltet also meist auch aktuelle Tracks (Diagramm 2). Trotz der soziokulturellen Homogenität der Talk-Gäste wirkt die Gesamtheit ihrer Track-Auswahlen bei dieser Betrachtung also ausgesprochen heterogen.
Es wurde bisher der naheliegenden Frage nachgegangen: Welche Tracks wurden von den Talk-Gästen gewählt? Man kann die Frage aber auch umkehren und fragen: Welche Tracks wurden von den Talk-Gästen nicht gewählt? Bei dieser Betrachtung ergibt sich ein etwas anderes Bild. Selten oder gar nicht gewählt wurden Tracks mit einem Produktionsjahr vor 1955 oder einem Produktionsjahr vor dem individuellen Geburtsjahr eines Talk-Gastes. Selten bis gar nicht gewählt wurden Tracks aus direkten Nachbarländern Deutschlands (Dänemark, Polen, Tschechien, Österreich, Schweiz, Frankreich, Niederlande, etc.) oder traditionelle europäische Folklore (Jiddische Musik, Gypsy/Sinti-Jazz, Böhmische Polka, Flamenco, Fado, Rembetiko etc.) Selten bis gar nicht gewählt wurden Tracks aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien. In der Gesamtauswahl gibt es nicht einen Track aus den wirtschaftlich aufstrebenden BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Aber auch Tracks mit dezidiert lokaler oder regionaler Provenienz sind auffällig dünn gesät. Selten oder gar nicht wurden Tracks aus Würzburg, Unterfranken, Bayern oder aber auch Süddeutschland gewählt, keine Dialektlieder, wenig oder gar keine deutsche Volksmusik, volkstümliche Musik oder deutsche Schlager.
Die Gesamtheit der Track-Auswahlen wird eindeutig dominiert von anglo-amerikanischer Popularmusik aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und modernen Einspielungen mitteleuropäischer Kunstmusik. Innerhalb dieser scharf abgegrenzten Segmente kann den Track-Auswahlen eine beeindruckende stilistische Breite und ein gewisses „Qualitätsbewusstsein“ attestiert werden. Kommerziell erfolgreiche oder in weiten Teilen der Bevölkerung populäre Tracks werden vermieden zugunsten von Tracks, die ein gewisses bildungsbürgerliches Profil erkennen lassen sollen. Die eigenwillige „Heterogenität innerhalb homogener Verhältnisse“ der Track-Auswahlen lässt sich als Binnendiversifizierung oder Binnendiversität bezeichnen.
Als Repräsentanten für die eigene Biographie werden von den Talk-Gästen in erster Linie Tracks aus westlichen Musikkulturen gewählt. Auffällig dabei ist, dass sich diese Vorliebe nicht auf das lokale bzw. regionale Umfeld erstreckt. Hier sprechen die erhobenen Daten ein klare Sprache: Von Musik aus der Region (unabhängig von ihrer Stilistik und ihrem Produktionsjahr) scheint man gründlich entfremdet zu sein. Eine starke Identifikation ist zumindest bei den Track-Auswahlen in keinem Fall zu erkennen.
Von Beginn an war es ein erklärtes Ziel der Talkshowreihe durch die spezielle und persönliche Form der Präsentation das Interesse der Talk-Gäste füreinander anzuregen und dadurch die interdisziplinäre Vernetzung der regionalen Akteure zu befördern. Leider muss konstatiert werden, dass dies nur in sehr bescheidenem Ausmaß gelungen ist. Talk-Gäste einer gemeinsam beworbenen Staffel oder fachliche Kollegen benachbarter Kultursparten besuchten nur dann die Show eines anderen, wenn bereits vorab eine Freundschaft oder Bekanntschaft bestand oder sich zumindest ein repräsentativer Besuch empfahl. Dies mag natürlich auch mit der im Kulturbetrieb (und nicht nur dort) allgegenwärtigen Kompetitivität zu tun haben. Das Publikum der Talkshows setzte sich demzufolge zumeist aus persönlichen Freunden, Bekannten, sowie kulturinteressierten Frauen und Männern im mittleren Alter (ca. 40-60 Jahre) zusammen.
Die persönlichen Bestenlisten von „My Favourite Tracks“ sind natürlich nicht repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung, für die untersuchte Gruppe von Akteuren der regionalen Kulturszene einer mittelgroßen deutschen Universitätsstadt dürften sie aber zumindest einen gewissen Prägnanzwert besitzen. Je nach Erhebungszeitraum sind die absoluten Werte der Produktionsjahre der Track-Auswahlen variabel, aller Voraussicht nach aber blieben die Werte der Produktionsjahre in Relation zum Lebensalter und die sich daraus ergebenden zeitlichen Spannen in etwa stabil. Der Zeitraum ab der eigenen Geburt bis zur jeweiligen Gegenwart und ein aus Kindheit und Jugend vertrauter, aber überregionaler Kulturkreis wird wohl in den meisten Fällen auch weiterhin den Bezugsrahmen einer Auswahl von „Favourite Tracks“ bilden, die für das eigene Leben repräsentativ sind.

Die Namen aller Talk-Gäste sowie deren Kurzbiographien und Tracklisten sind zu finden unter: www.myfavouritetracks.de

Ende Teil 2, (Teil 1)